Für Designchef Marc Lichte geht ein Traum in Erfüllung. 1:1-Modelle der zuletzt fast inflationär oft gezeichneten Playstation-Autos mag es zwar in den letzten Jahren einige gegeben haben. „Doch einen voll funktionsfähigen Rennwagen hat daraus bislang noch keiner gemacht“, sagt Lichte.

Der Mann, der dafür verantwortlich zeichnet, ist Martin Mühlmeier. Er baut mit seinem Team sonst Erlkönige und ganz frühe Prototypen auf. Dass er auch den Vision Gran Turismo in nicht einmal zwölf Monaten aus der Virtual Reality in die Wirklichkeit geholt hat, verdankt er dem Teileregal bei Audi. Denn den Antrieb hat er kurzerhand vom echten e-tron übernommen, mit dem Audi zum Jahreswechsel sein erstes Akku-Auto in Serie bringen will. Und das brettharte Fahrwerk sowie die superdirekte Lenkung stammen aus der Rennabteilung. Nur das Chassis und die aus Karbon gebackene Karosserie sind maßgeschneidert für das Einzelstück.

Der Griff ins Regal hat mehrere Vorteile: Zeit und Geld wurden gespart, sodass der Vision Gran Turismo am Ende schneller fertig und billiger zu haben war als jedes konventionelle Showcar. Und das Auto bekam die bestmögliche Performance. Denn der e-tron soll nicht nur rollen, wie so viele andere Studien, sondern er soll rasen. Und zwar vor großem Publikum als Renntaxi in der Formel E.

Vor der Jungfernfahrt beim ePrix in Rom waren wir bereits am Steuer. Ein eher surreales Erlebnis: Denn wenn drei E-Maschinen von jeweils 200 kW auf 1450 Kilo treffen und es um nichts anderes geht als die schnellste Runde auf einer Rennstrecke, dann sprengt das den Erfahrungshorizont.

Und so oft man auch auf einer Playstation Rennstrecken gefahren sein mag, ist die Realität halt doch ein anderes Kaliber. Wenn man sich erst einmal durch die schmale Tür tief nach unten in den Sitz gefädelt hat, einem die Mechaniker mit dem Fünfpunktgurt den letzten Rest Luft aus der Lunge gequetscht haben und ein freundlicher Helfer das Steuerhorn auf die Lenksäule klickt - dann mag das zwar alles aussehen wie bei der Playstation, aber es fühlt sich verdammt echt an - weil es echt ist.

Entsprechend vorsichtig rollt man aus der Boxengasse auf die Teststrecke und erlaubt seinem rechten Fuß kaum mehr als ein Streicheln. Bis die Versuchung zu groß wird und man den Wagen endlich so benutzen will, wie es gedacht ist.

Die weniger als 2,5 Sekunden von 0 auf 100 auf 100 km/h fühlen sich noch eindrucksvoller an, wenn sich dabei der Magen auf die Größe eines Tennisballes verkrampft. Die auf 225 km/h limitierte Höchstgeschwindigkeit wirkt schneller, wenn eine kurze Gerade dafür ausreicht und am Ende eine schier unbezwingbare 180-Grad-Kehre wartet. Jede Kurve jagt den Puls in die Höhe, weil die Bodenhaftung des Vision Gran Turismo ungeahnte Geschwindigkeiten erlaubt. Dass die 60-kWh-Akkus bei so einer Raserei nicht wie auf der Straße über 500 Kilometer reichen, sondern Projektmanager Mühlmeier schon froh ist, wenn der Vision Gran Turismo mit einer Ladung ein Dutzend Runden schafft, mag zwar auf ein Manko der E-Mobilität hinweisen. Doch noch nie war man dafür so dankbar wie diesmal. Denn viel mehr hält auch der stärkste Magen nicht aus.

Gut, dass sich diese Frage nach der Belastbarkeit des Magens nur selten stellen wird. Denn der e-tron Vision Gran Turismo bleibt ein Einzelstück: Den Wagen kann keiner kaufen und den Platz auf dem Beifahrersitz gibt es nur für ein paar Auserwählte. Aber selbst wenn die Vision Wirklichkeit geworden ist, jagt die elektrische Flunder weiterhin über die Playstation. Nur gut, dass einem in der Virtual Reality so selten schlecht wird.

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