Wie Städte optimal Radweg-Netze planen sollten, hat ein Team um den österreichischen Komplexitätsforscher Michael Szell untersucht. Mittels Netzwerkanalysen zeigte er für 62 Städte weltweit, dass Kommunen ausdauernd in den Ausbau investieren müssen, um eine kritische Schwelle zu überwinden. Erst dann werde das Netz funktional. Dabei komme es nicht auf die Länge der Radwege an, sondern darauf, wie man das Netzwerk ausbaut, so die Forscher im Fachjournal "Scientific Reports". Die Studie kann man hier nachlesen.

Im Hinblick auf nachhaltigere Lösungen für den innerstädtischen Verkehr soll das Fahrrad künftig eine größere Rolle spielen: "Bezieht man alle Kosten etwa für Gesundheitssystem, Umweltverschmutzung und Klimawandelfolgen ein, ist es viel ökonomischer, in Fahrradwege zu investieren als in den Autoverkehr", sagt Michael Szell von der IT Universität Kopenhagen und dem Complexity Science Hub (CSH) Vienna im Gespräch mit der APA.

Stückwerk, aber kein Netz

In der Praxis kämpfe die Entwicklung einer Radinfrastruktur aber "mit einer politischen Trägheit, die auf die tief verwurzelte, komplexe Abhängigkeit vom Auto zurückzuführen ist", schreiben die Forscher in der Arbeit. In vielen Städten – so etwa auch in Wien, aber nicht in der Vorzeige-Fahrradstadt Kopenhagen – erfolge der Aufbau von Radweg-Netzen typischerweise durch jahrzehntelange, stückweise Verbesserungen.

Genau das ist aber "die schlechteste Wachstumsstrategie", zeigten die Wissenschaftler mit ihren Simulationen. Eine solche mehr oder weniger auf Zufall basierende Strategie benötige mindestens dreimal so viele Investitionen wie eine die ganze Stadt umfassende grundlegende Strategie.

Kritische Masse an Radwegen

Für ihre Simulationen stützten sich die Forscher auf existierende Gestaltungsrichtlinien für den Ausbau von Radinfrastruktur, etwa das niederländische "Crow Design Manual for Bicycle Traffic". Demnach gibt es drei wichtige Kriterien, die ein Radweg-Netz erfüllen sollte: Es sollte durchgängig sein, also keine Lücken mit gemischten Verkehr aufweisen, von A nach B sollte man möglichst direkt kommen können, und alle Teile der Stadt sollten per Rad erreichbar sein.

Unabhängig von der jeweiligen Stadt zeigte sich in den Simulationen durchwegs, "dass es eine kritische Masse an Radwegen geben muss, bevor das Netzwerk funktional wird, also durchgängig und direkt", sagte Szell. Bevor diese kritische Schwelle erreicht werde, verringern sich die Qualitätskennzahlen des Netzwerkes. Deshalb höre man bei der derzeit verfolgten Strategie mit stückweisem Ausbau oft den Einwand: "Wir haben schon so viele Radwege gebaut, aber niemand nutzt die. Warum sollen wir dann noch mehr bauen?", schreiben die Forscher.

Autoverkehr in Schrittgeschwindigkeit

Die Empfehlung der Netzwerkforscher an Städte lautet daher: "Versuchen Sie, strategisch für die ganze Stadt zu planen und nicht stückweise bzw. lokal für einzelne Bezirke. Dann wird das Netzwerk früher zusammenhängend und funktional." Zudem sage die Länge der Radwege einer Stadt nicht viel über die Qualität der Radinfrastruktur aus. "Wichtig ist vielmehr, wie direkt die Wege sind, wenn ich ausschließlich auf Radwegen von einem zufälligen Punkt der Stadt zu einem anderen fahren möchte."

Der Ausbau der Fahrradinfrastruktur hat natürlich Auswirkungen auf den Autoverkehr: "Wir haben für unsere Simulationen die sehr starke Annahme getroffen, dass auf allen Straßen, auf denen wir Radwege bauen, die Geschwindigkeit der Autos auf Schrittgeschwindigkeit sinkt", sagte Szell. Denn ähnlich wie auf vielen Radwegen in den Niederlanden sollen auf diesen Radstraßen zwar auch Autos fahren dürfen, aber eben nur in Schrittgeschwindigkeit, und Fahrräder Priorität haben.