Im größten Automobilkonzern der Welt ist es nach den Turbulenzen im Frühling verdächtig ruhig geworden. Die für viele heute noch schwer fassbare Absetzung von Patriarch Ferdinand Piëch (78) als Vorsitzendem des Aufsichtsrates hat die Volkswagen AG im Fundament erschüttert und ein nachhaltiges Machtvakuum erzeugt. So herrscht in Wolfsburg eine seltsame Stimmung: Sieht man von Wortspenden des polternden Betriebsratsvorsitzenden Bernd Osterloh und Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil ab, geben sich die maßgeblichen Strippenzieher zur Neuordnung des Auto-Giganten auffallend wortkarg. Was ein Hinweis darauf sein könnte, dass gerade die Weichen für die Zeitenwende gestellt werden.
Zeitenwende
Dass Volkswagen das Hochamt der deutschen Autoindustrie in drei Wochen in Frankfurt als Bühne für die Verlautbarung der neuen Strukturen und Machtverteilung nutzen wird, ist auszuschließen. Vielmehr ist zu vermuten, dass der weiße Rauch in den Wochen nach der IAA aus den Schornsteinen des Wolfsburger Stammwerks aufsteigen wird.
Die großen Rätsel stehen also vor der Auflösung. Zuerst: Wer wird Ferdinand Piëch an der Spitze des Aufsichtsrats folgen? Kommissarisch hat diese Rolle der frühere IG-Metall-Chef Berthold Huber übernommen. Das Vorschlagsrecht liegt bei den Eignern, und damit vor allem bei den Kapitalvertretern von Porsche und Piëch, die über die Familien-Holding 51 Prozent an Volkswagen besitzen und im obersten Kontrollgremium mit ihren fünf Mandaten (Hans Michel Piëch, Julia Kuhn-Piëch, Louise Kiesling, Wolfgang und Oliver Porsche) die Zügel in der Hand haben. Erster Kandidat soll Wolfgang Porsche (72) gewesen sein, auch Oliver Porsche (54), die starke Familienfigur der Zukunft, stand zur Diskussion. Doch hat sich die österreichische Auto-Dynastie offensichtlich dazu durchgerungen, den Vorsitz künftig keinem Familienmitglied zu übertragen.
Vieles spricht dafür, dass Martin Winterkorn (68), dessen Vertrag als Konzernchef offiziell Ende 2016 ausläuft, nominiert wird. Winterkorn hat Volkswagen groß gemacht, er kennt den Konzern wie seine Westentasche und wäre der logische Kandidat, hat sich im Zuge des Machtkampfs mit Piëch aber möglicherweise zu weit aus dem Fenster gelehnt. Als Geheimfavorit für alle Fälle wird Hans Dieter Pötsch (64) gehandelt: Der aus Linz stammende souveräne Finanzvorstand genießt in allen Kreisen höchste Wertschätzung.
Kampf um Wolfsburg
Mit Spannung wird auch die Reform der bisher extrem zentralistischen Struktur des Zwölf-Marken-Reichs erwartet. Diese forderte der Aufsichtsrat von Winterkorn, der wohl etwas zähneknirschend einen schlankeren Vorstand und mehr Einfluss der Regionen und Markengruppen zulassen muss. Die Fokussierung auf Wolfsburg und den CEO war vielen längst ein Dorn im Auge. Dass Winterkorn – sofern er Chefpilot bleibt bzw. sein Vertrag sogar bis 2018 verlängert wird – Federn lassen muss, steht fest. Die Führung der Kernmarke VW hat der bestverdienende DAX-Manager (16 Millionen Euro Jahresgehalt) bereits an Herbert Diess (56) abgegeben.
Das Konzept von Winterkorn soll eine Aufteilung in vier Markengruppen vorsehen. Gesetzt als führende Köpfe wären wohl Diess (VW, Seat, (S)koda), Rupert Stadler (Audi, Lamborghini, Ducati), Matthias Müller (Porsche, Bentley, Bugatti) und Andreas Renschler (Lkw).
Kantiger Neuling
Besondere Aufmerksamkeit im Haus genießt in diesen Tagen freilich Herbert Diess: Der kantige Neuling, der die Rückendeckung der Porsches und Piëchs hat, gilt als Branchengenie. Stemmt der knallharte Kostenwächter und Elite-Techniker die Herkules-Aufgabe Volkswagen, ohne dabei die Belegschaft zu vergraulen, wird er über kurz oder lang als neuer Steuermann von Wolfsburg nicht zu verhindern sein.
Die künftige Holding dürfte nur noch aus dem CEO, den Chefs für Finanzen, Einkauf (Francisco Javier Garcia), Personal (soll Bernd Osterloh übernehmen) und den Spartenchefs bestehen. Der Reform zum Opfer fallen wird mit ziemlicher Sicherheit der Vorstandsbereich Vertrieb, der aktuell vom Tiroler Christian Klingler verantwortet wird.