Sie sitzen gerade in Boston fest. Wie hat sich denn diese vertrackte Situation ergeben?
VERONIKA STABINGER: Ich dürfte mit meinem Arbeitsvisum momentan zwar ausreisen, aber nicht mehr einreisen. Und dann könnte ich meinen hier sesshaften Partner nicht mehr sehen, was ich selbstverständlich vermeiden will. Dafür arbeite ich jetzt intensiv an freien Projekten wie dem wilden Pony – auch nicht schlecht!
Wie fühlt es sich in Trump- und Corona-Zeiten an, in den USA zu leben?
STABINGER: Es ist in meinem Fall erstaunlich unspektakulär. Aus zwei Gründen: Erstens heißt die Region, in der ich lebe, nicht umsonst Neuengland. Es fühlt sich hier sehr europäisch an. Und dem Bundesstaat Massachusetts geht es in punkto Corona auch verhältnismäßig gut – und der Lockdown ist für mich relativ wenig spürbar, da ich noch nicht so lange hier bin und dementsprechend wenig Verpflichtungen habe, die ich deswegen nicht wahrnehmen kann. Zweitens gibt es mit Harvard oder MIT einige Elite-Universitäten hier in der Region, und damit auch gebildete, internationale Bevölkerung. Da ist auch Trump kein übertrieben großes Thema – wir sind ja auch keiner der „Swing-States“. I
Ist es schwierig, Kontakte zu knüpfen?
STABINGER: Meine neueste Erkenntnis: Wer österreichisches Essen servieren kann, hat ein Ass im Ärmel! Und ein Gespräch, das erstmal oberflächlich verläuft, wird überraschend schnell verbindlich, wenn man erwähnt, dass man aus Europa kommt und Dinners veranstaltet.
Sie haben lange im europäischen Hipsterhausen namens Berlin gelebt.Wie fühlt sich da Boston im Vergleich an?
STABINGER: Kulinarisch geantwortet: Boston selbst ist durchaus europäisch, also etwa italienisch oder französisch geprägt, was Restaurants und Co. angeht. Es gibt natürlich schon Projekte wie den „Bow Market“ in Somerville, der mich in vielem sehr an Berlin erinnert. Modisch, aber auch extrem nachhaltig. Aber weniger hipsterlike, wie man das von New York oder eben Berlin kennt. Generell wohnen wir allerdings im äußeren Teil Bostons, also Wohngegend. „Hipster“-Trends wie Online-Tauschgruppen, Frischfisch- Abos und lokale Lebensmittel sind hier eher bewährt und werden nachhaltig integriert.
Bereits vor einigen Jahren haben Sie begonnen, das „Wilde Pony“ zu veranstalten. Quasi ein Guerilla-Gasthaus. Gabs dafür eine Art Vorbild oder hat es sich verselbstständigt?
STABINGER: Es war eher so, dass mich die klassischen Pop-Up-Restaurants ein bisschen genervt haben. Das Signifikante von so einem Format kann doch nicht sein, zu versuchen, ein Restauranterlebnis nachzumachen. Das muss doch nicht fancy, sondern inspirierend, neu und unerwartet sein. Also hab ich das Konstrukt hinterfragt und es mit einem künstlerischen Anspruch als kooperatives Gesamt-Erlebnis neu aufgestellt. Mein Hauptberuf als User-Experience-Strategin hat hier nicht geschadet. Für ein gelungenes Ganzes sind ein paar Fixpunkte essenziell, und der Rest kann wild und flexibel sein.Was wären denn das für Fixpunkte?
STABINGER: Gemeinsam essen ist ein relevanter Punkt, der gerade in Coronazeiten noch sichtbarer wird. Anders als im Restaurant essen alle Leute im gleichen Raum das Gleiche zur gleichen Zeit. Das macht eine besondere Stimmung. Dann spielt natürlich der spezielle Ort eine große Rolle. Beim Betreten eines ehemaligen Gefängnisses, einer Baustelle oder eines Kanuvereins denken die Gäste oft, warum in aller Welt hier jemand kochen könnte (oder kann). So ein ungewöhnlicher Ort braucht auch Orientierung. Deshalb habe ich mir in weiterer Folge die Rolle der Wirtin im schwarzen Dirndl überlegt. Ich begrüße die Gäste, erkläre, wie der Abend ablaufen wird und präsentiere jeden Gang, der ein künstlerischer Beitrag oder eine Speise sein kann. Die Idee ist, nicht nur übers Essen zu reden – es soll eine Gesamterfahrung für Geist und Körper sein.
Wo haben Sie gelernt, für viele Menschen zu kochen?
STABINGER: Nirgends. Ich habe bei den ersten Malen auch immer angekündigt, dass ich nicht garantieren kann, dass das alles gelingt. Mache ich eigentlich immer noch, muss ja wild bleiben!
Ist es denn immer gelungen?
STABINGER: Erstaunlicherweise ja! Dadurch, dass ich selbstständige Beraterin bin, habe ich auch anständig Management-Erfahrung. Die Aufgabe ist ja eigentlich nur, große Probleme in kleine, lösbare zu zerschneiden. Wenn ich mir vorgenommen habe, etwas zu kochen, teile ich die Zubereitung in Schritte und Zeiten ein. Dann arbeitet man einfach alles ab. Natürlich muss man die Menüfolge bereits in der Planung auf die vorhandenen Möglichkeiten abstimmen: Ich achte auf die Infrastruktur, auf lokale, saisonale Zutaten, und am wichtigsten: auf die HelferInnen und Co-Köche oder Köchinnen. Und dann gibts halt auch irre Situationen, in denen man in einer Kunstgalerie in Italien für 35 Personen auf einem einzigen Induktionsherd mit einem einzigen uralten Emailkochtopf ein riesiges Risotto kocht. Ich frage mich dann schon, was ich mir dabei gedacht habe ... Hat aber allen geschmeckt.Risotto für viele Gäste zu kochen ist eine Herausforderung. Gibt es da einen Tipp?
STABINGER: Ein italienischer Freund und Koch hat mir gezeigt, wie man diese Speise „halb“ vorkochen kann. Nach etwa 12 Minuten Köcheln den Reis auf ein Backblech streichen, auskühlen lassen – dadurch stoppt der Garprozess gleichmäßig. Bei Bedarf kann man es dann leicht fertigkochen und mit Geschmack und Würze versehen. Ansonsten: Rühren bis der Arm abfällt!
Gibt es fixe Bestandteile in Ihren Pony-Menüs?
STABINGER: Mein Favorit ist Black Pudding (Blutwurst) als Cupcakes, gerne mit seltsamen Toppings wie fermentiertem Rotkraut und Lorbeer-Birne. Es zeigt traditionsreich, was alles wohlschmeckend sein kann. Mein Klassiker als Dessert ist die dekonstruierte Sachertorte, dabei verteile ich die Einzelbestandteile direkt am Tisch auf einer Bahn aus Backpapier. Selten füllt sich ein Raum mit so viel Frohsinn wie in dem Moment, in dem ich Schokolade auf den Tisch gieße.
Bei den Veranstaltungen selbst treten Sie, wie schon erwähnt, immer im schwarzen Dirndl auf. Ist das irgendwie eine dunkle Anspielung zur im weißen Dirndl gekleideten Rössl-Wirtin?
STABINGER: (Lacht) Oh, daran habe ich noch nie gedacht! Das war ursprünglich als Kunstprojekt geplant. Die Überlegung war: Was bleibt von der Identität eines Dirndls, wenn man alle klassischen Farben subtrahiert? Die vielen Rückmeldungen sind so positiv, dass ich momentan an einer monochromen Dirndl-Reihe arbeite.Gehen Sie eigentlich selbst gerne auswärts essen?
STABINGER: Ja, natürlich. Weil mich die Geschichten interessieren, die andere GastgeberInnen mit ihren Gerichten erzählen wollen.
Wie lautet Ihr aktuelles Projekt in der Küche?
STABINGER: Mir geht es momentan viel ums Festhalten der Jahreszeit. Also Einlegen, Einkochen. Aber auch: Wie interessant ist eine frische Tomate im Dezember? Hat nicht die Saisonalität auch die Funktion des temporären Erfreuens und des anschließenden Vermissens? Da suche ich gerade nach den besten Antworten.