"Meine Sulamith liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell." Diese Worte von König Salomo  aus dem alten Testament zieren den Eingang
"Meine Sulamith liebe Braut, du bist ein verschlossener Garten, ein versiegelter Quell." Diese Worte von König Salomo aus dem alten Testament zieren den Eingang © Kurt Bauer

Gegen alles ist ein Kraut gewachsen. Das wusste auch schon Karl der Große. In seiner „Capitulare de villis“ – der ersten Land- und Wirtschaftsordnung des Mittelalters – legte der Imperator nicht nur fest, was und wie viel an einem Haupt- und einem Nebenhof produziert werden musste um seine Versorgung und die seines Hofstaats zu sichern, wenn er sich auf Reisen befand. In diesem Kapitular wird auch der Anbau von Obstbäumen, Weinreben, Gemüse und eben Kräutern genau beschrieben. Ganze 89 Pflanzen und Heilkräuter werden in diesem Gesetzeswerk aufgelistet. Vorbild dafür waren die damaligen Kräutergärten der Klöster, durch die Nonnen und Mönche ihren eigenen medizinischen Bedarf decken konnten. Durch den Anbau von Kräutern, wie Kümmel, Pfefferminze, Scharfgarbe oder Diptam sollte nun auch in der breiten Bevölkerung eine medizinische Grundversorgung gewährleistet werden. So schickte Karl der Große eine Vielzahl von Kräutern auf eine Reise in alle Winkel des damaligen Frankenreichs. Ein historisch wichtiger Schritt für den Gartenbau war getan.

Versteckte Gartenschätze

Sissy Sichart beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Kräuterheilkunde. Gemeinsam mit ihrem Mann, Daniel Sichart, hat sie ihr 4000 m² großes Grundstück in einen einzigartigen Garten verwandelt.
Sissy Sichart beschäftigt sich seit über 25 Jahren mit Kräuterheilkunde. Gemeinsam mit ihrem Mann, Daniel Sichart, hat sie ihr 4000 m² großes Grundstück in einen einzigartigen Garten verwandelt. © Kurt Bauer

Eine besondere Verbeugung vor diesem Herrscher findet man – wie könnte es anders sein – in Form eines Gartens in St. Kathrein am Offenegg. Dort befinden sich nämlich, in luftigen 1000 Meter Seehöhe, die hängenden Gärten der Sulamith. So fantastisch, wie der Name klingt, mutet auch dieser Garten inmitten des Naturparks Almenland an. ­Sissy und Daniel Sichart haben sich hier auf gut 4000 Quadratmeter ein eigenes Paradies geschaffen. Wer durch das große, kunstvoll gearbeitete schmiedeeiserne Tor tritt, welches den Eingang zu dieser eigenen kleinen Welt markiert, hat einiges zu erkunden. Neben dem Kaisergarten beherbergen die Gärten der Sulamith einen Erikagarten, ein Kräuterparterre, einen Rosengarten, einen Giftkräutergarten, den Oberonwald, einen Baumlehrpfad und noch viele weitere Beete, Wege und Abschnitte.

© Kurt Bauer
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Das bunte Blumenreich der Familie Sichart ist einer von vielen, meist privaten, Schaugärten hierzulande. Gartentechnisch hat Österreich nämlich so einiges zu bieten. Von Blumenschmuckwettbewerben über Obstgärten, von Weingärten zu Nutzgärten bis hin zu geschützten Landschaften – in der eigenen Heimat findet man alles, was das Gärtnerherz begehrt. Das Bonsaimuseum Seeboden, der Schau- und Exotengarten Philemons Garten in Entschendorf bei Gleisdorf, der Rosengarten Giovannis Garten bei Graz oder der Klostergarten des Klosters Wernberg sind dabei nur einige Beispiele aus Kärnten und aus der Steiermark. Kleine paradiesische Inseln, die ihren Gästen Stunden der Ruhe und Erholung schenken.
„Gerade im letzten Jahr haben viele unserer Besucher die Möglichkeit unseren Garten zu besuchen besonders genossen“, erzählt Sissy Sichart. „Viele Gäste, die zum ersten Mal die hängenden Gärten der Sulamith besichtigt haben, waren ganz verwundert, dass es auch bei uns so schöne Plätze gibt. Uns hat zum Beispiel erst kürzlich eine Dame besucht, die eine begeisterte Gartenliebhaberin ist und bereits viele Gartenreisen nach England unternommen hat. Während der Pandemie ging das natürlich nicht, weswegen sie begonnen hat, auch die Gärten in Österreich zu erkunden. Nach der Besichtigung kam sie zu dem Schluss: Warum eigentlich nach England, wenn es auch hier so schöne Gärten gibt?“

Mit der Zeit gewachsen

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Wenn man den Garten der Sulamith, oder auch nur Fotos von diesem sieht, mag man gar nicht glauben, dass er erst verhältnismäßig neu ist. Alles nahm seinen Anfang, als es das frisch verheiratete Ehepaar Sichart aus der Stadt auf das Land zog. „St. Kathrain war so schön abgelegen und idyllisch. Keine Plakatwände und kein Straßenlärm“, erinnert sich Sissy an ihre ersten Eindrücke. Das Grundstück, welches sich auf einem Steilhang befand, war jedoch so abgelegen, dass das Haus nur über einen schmalen Feldweg zu erreichen war und es ringsum keine Umkehrmöglichkeiten gab. Ein Bagger musste her. In einer Pause, zwischen den Steinschlichtungen, kam dem Ehepaar die Idee: Warum nicht den steilen Abhang etwas abflachen? Gesagt, getan – so entstanden kleine Terrassen. „Zunächst hatten wir keine Ahnung, was wir hier ansetzen sollen“, lacht Frau Sichart. „Doch wir haben viele Bücher gelesen und uns auf Reisen begeben, um uns von berühmten Gärten inspirieren zu lassen. So hat mein Mann die Liebe zu den Bäumen entdeckt, ich zum gestalterischen Teil der Gartenarbeit und zur Kräuterheilkunde“

Kraut, nicht Unkraut

Eine Liebe, die Sissy Sichart auch nach außen trägt. Während Sie normalerweise Vorträge und Workshops abhält, hat sie während des Lockdowns etwas umdisponieren müssen: „Durch die Pandemie habe ich Youtube für mich entdeckt und einen eigenen Youtube-Kanal gestartet. Es freut mich immer sehr, wenn ich Leute dazu motivieren kann, die Kraft der Kräuter für sich zu entdecken und ihre Sicht auf vermeintliches ‚Unkraut‘ etwas zu ändern.“ Viele Menschen hätten einen negativen Bezug zu Wildkräutern und würden sie als Schädlinge wahrnehmen. Dabei strotzen genau diese heimischen Pflanzen vor Energie. Durch Salben, Tinkturen, Ölauszüge, Peelings, Gesichtswässer und mehr, kann man sich diese Kraft zunutze machen. „Einer meiner persönlichen Favoriten ist der Wermuth­sirup. In ihm sind viele Bitterstoffe enthalten – an diesen nimmt man meist durch eine herkömmliche Ernährung zu wenig auf. Der Sirup regt die Verdauungssäfte an und wirkt auch gegen Migräne. Zudem ist er leicht herzustellen. Man kocht einfach einen Liter Wasser mit einem Kilo Zucker auf, bis sich der Zucker aufgelöst hat. Danach gibt man so viele Kräuter wie möglich dazu und lässt das ganze zugedeckt für zwei bis drei Tage stehen. Nachdem man die Kräuter abgeseiht hat, ist der Sirup auch schon fertig.“
Bevor Sie also das nächste Mal ungeliebtes Unkraut in Ihrem Garten jäten, sollten Sie den Pflänzchen lieber einen genaueren Blick schenken. Wer weiß, welche grünen Schätze Sie dabei entdecken werden.