Wie schlimm ist der Fachkräftemangel wirklich?
Monica Rintersbacher:
Wir brauchen Kräfte in jeglicher Qualifikation: von nicht- bis hochspezialisiertem Personal. Der Mangel hat viele Gründe: einerseits die Demografie, andererseits haben wir nicht die Migration, die wir brauchen. Auch die Vereinbarkeit von Beruf und Familie ist ein Thema. Zusätzlich wird wohl die Entwicklung der Künstlichen Intelligenz nicht so schnell voranschreiten, um das alles zu kompensieren.

Welche Branchen sind besonders betroffen?
Es trifft nicht nur jene, wo es bei den Kunden gleich spürbar ist, wie Gastronomie oder Handwerk. Und es betrifft alle Branchen und Unternehmensgrößen vom internationalen Konzern bis zum Familienbetrieb und beispielsweise auch Logistik und Produktion.

Gibt es da ein Stadt/Land-Gefälle?
In manchen Regionen helfen Aktionen wie "Bring your friends and family". Da arbeiten dann mehrere Generationen in einem Betrieb. Das funktioniert vor allem im ländlichen Umfeld. Die Stadt bietet wiederum Vorteile für Mitarbeiter aus zum Beispiel dem Ausland, die nur in größere Ballungszentren wie nach Wien wollen.

Was hilft sonst noch gegen den Fachkräftemangel?
Zum Beispiel zusätzliche Bonifikationen in allen möglichen Formen. Hier reicht aber nicht mehr der klassische Obstkorb. Auch die Sinnstiftung ist ein Thema: Kann ich mich identifizieren mit dem, was mein Unternehmen macht? Nachhaltigkeit, Klimaziele, die Möglichkeiten der betrieblichen Aus- und Weiterbildung, aber auch zeitliche und örtliche Flexibilität, Homeoffice oder die Vier-Tage-Woche bei vollen Bezügen sind bestimmende Themen. Diese stellen die Unternehmen vor wirtschaftliche Herausforderungen.

Ist Besserung in Sicht?
Stärkere Geburtenjahrgänge werden erst in etwa 15 Jahren zu erwarten sein. Ein Teil dieser Lücke könnte dadurch gefüllt werden, dass bewährte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter länger im Arbeitsprozess bleiben und diesen später in Richtung Pension quasi ausgleiten lassen. Sie könnten viel wertvolles Know-how weitergeben und wären auch als Teilzeitkräfte oder Aushilfen interessant. Da ist aber die Politik gefragt, variable Arbeitszeitmodelle und steuerliche Rahmenbedingungen zu schaffen, damit die Unternehmen nicht mit einem Fuß im Kriminal stehen, wenn Mitarbeiter flexibler arbeiten.

Die wirtschaftliche Lage trübt sich ein, Kika/Leiner ist ein Beispiel dafür. Könnte es nicht sein, dass in nächster Zeit wieder mehr Arbeitskräfte auf den Markt kommen?
Wir werden sicher eine gewisse Marktbereinigung sehen, aber gleichzeitig werden ja auch wieder neue Arbeitsplätze und Tätigkeitsbereiche geschaffen. Ich gehe davon aus, dass die Personalfreisetzungen der nächsten Zeit nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein werden, da es eventuell einer Umschulung von Möbelverkauf zu Wursttheke bedarf.

Die demografische Entwicklung ist lange bekannt und kein Naturphänomen, das überraschend über uns gekommen ist. Hat die Wirtschaft es hier verabsäumt, rechtzeitig zu reagieren?
Eines will ich betonen: die Wirtschaft hat in allen Krisen immer funktioniert. Das Problem sehe ich eher in den politischen Rahmenbedingungen. Mit vielen Änderungen ist es schwierig, langfristige und nachhaltige Weichen zu stellen. Die Unternehmen bräuchten dringend Lösungen im Bereich zeitliche und örtliche Flexibilität. Und die Politik sollte sicherstellen, dass die Tüchtigen belohnt und das Nichtstun nicht gefördert wird. Jeder sollte seinen Beitrag leisten.