Der Sohnemann war abgetaucht. Aber die Mama wird den Deal schon über die Bühne bringen: „Der Vorbesitzer hatte das Auto damals gekauft, ohne das Geld dafür zu haben“, erinnert sich Helmut Deimel an die speziellen Verhandlungen 1982 mit der unentspannten Erziehungsberechtigten eines glühenden Enthusiasten. „Den Besitzer der Alpine habe ich nie gesehen, aber ich konnte mich mit der Mutter schnell einigen.“ Deimel war ebenfalls ein glühender Enthusiast, doch er hatte das Geld. Dank eines Jobs, den er streng genommen diesen kleinen blauen Autos zu verdanken hatte. Sie sollten nicht nur sein Leben auf den Kopf stellen, sondern auch gleich den internationalen Rallyesport.
Und alles begann 1951 mit einer Wette auf einer französischen Landstraße. Jean Rédélé war der Sohn eines Renault-Händlers im beschaulichen Dieppe. Den Betrieb hatte der 29-Jährige nach dem Krieg neu aufgebaut, die Geschäfte liefen gut, aber Rédélé reichte das nicht. Vor allem, nachdem ihn der benachbarte Peugeot-Händler mit einer Wette angestachelt hatte: Seine Produkte seien schneller!
Rallyeauto ab Werk. Prompt kam es zum Duell am Stadtrand, das Rédélé gewann und das ihn endgültig zum Motorsport trieb. Nur: In der kargen Renault-Nachkriegspalette wollte sich auch mit viel Fantasie keine passende Basis finden. Schnell fing der findige Jean an, unschuldige 4CV zu modifizieren. Erste Pläne, schussfeste Großserientechnik mit leichten Karosserien zu verknüpfen, führten zur ersten Sonderkonstruktion. Rédélé startete bei zahllosen Rennen, trat in Le Mans an und gewann 1954 den Alpenpokal, was für ihn der Grund war, seiner Automarke dieseneinprägsamen Namen zu verpassen:
Alpine. Für die 110 nahm sich Rédélé Großes vor: Kein Plattformrahmen mit aufgesetzter GFK-Hülle mehr, sondern ein Rohrrahmen, auf dem eine Fiberglaskarosse ruht. Bertone lieferte das Design, der Renault R8 Motor und Achsen, und Rédélés Schwiegervater half beim Vertrieb. Es entstand eine Modellfamilie mit Cabrio und 2+2-Coupé, doch das Herzstück war immer die Berlinette. Der 1,1 Meter niedrige und 3,9 Meter kurze Zweisitzer.
„Viel musste man nie ändern, die A110 war quasi ab Werk ein fixfertiges Rallyeauto“, fasst Deimel die Magie der kleinen Französin zusammen. Ein Serienfahrzeug mit der
primären Vorgabe, Rallyes zu gewinnen, das gab es noch nie. Entsprechend hinterließ die erste Begegnung beim Niederösterreicher einen tiefen Eindruck. Der Ochssattel lag vor seiner Haustür, über den eine Etappe der Alpenfahrt 1970 führte. „Ich bin nur zum Zuschauen hingefahren. Aber Bernard Darniche hat seine Alpine so unvergesslich den Pass hinaufgejagt, dass ich schlagartig verliebt war. In den Rallyesport. In die Alpine.“ Und in die Idee, beides auf Zelluloid zu bannen. Das Geld für die erste Kamera lieh sich der Niederösterreicher von seinem Freund Franz Wittmann, und nach einer wilden Anfangsphase landete Dieppe 1973, dem Jahr der ersten Rallye-WM, im Zentrum seiner Träume: „Ich durfte einen betuchten Privatfahrer begleiten, der seine neue Gruppe-4-Alpine abholte. Ich hab geglaubt, ich bin im Himmel.“
Wie schnell eine Serien-A110 war, hing hingegen von den irdischen Launen Renaults ab. Die anfänglichen 1000-Kubik-Motoren stemmten gerade einmal 44 PS. Schwung kam mit den scharfen Triebwerken des Werkstuners Amédée Gordini in die Sache: 1,3 Liter Hubraum und 115 PS sorgten 1969 schon für mehr Fahrspaß, und spätestens als der R16 1,6 Liter Hubraum verpasst bekam, ging es wirklich vorwärts. In der Rédélé-Konfiguration leistete der Vierzylinder 138 PS – kein schlechter Wert, wiegt die Alpine doch nur 680 Kilogramm. Und trotzdem – zur ersten WM benötigte es ein wenig mehr. Rédélé brauchte Geld, also stieg Renault in die Firma ein, und dank des neuen Reglements war es nun möglich, auf 1,8 Liter aufgebohrte Triebwerke einzusetzen. Jetzt gab es für die Werksfahrer, die alle nur noch die blauen Reiter nannten, kein Halten mehr. Jean-Claude Andruet, Bernard Darniche, Jean-Pierre Nicolas und Ove Andersson bildeten das Fahrerteam, wobei Letzterer das Wesen der Alpine am besten beschrieb: „Es ist, wie wenn du dir einen Handschuh anziehst, und schon geht’s los.“
Der Allerwerteste nur wenige Zentimeter über dem Boden, die Lenkung direkt, hohe Traktion dank Heckmotor, gekrönt von einem derart präzisen Handling, dass man Kurven schneller fahren als einsehen konnte. Doch ganz unproblematisch war die kleine Französin nicht. Das schwere Heck, dazu eine tückische Pendelachse, die schnell ein interessantes Eigenleben entwickelte – das musste man unter Kontrolle haben. Wer sein Popometer aber entsprechend kalibrierte, der konnte mächtig Spaß haben:
„Ich bin ja nur durchschnittlich begabt, aber sie lässt sich so schön mit dem Gasfuß steuern“, erzählt Deimel spitzbübisch von nächtlichen Ausflügen in die Bergwelt.
„Der Franz hat mich oft angerufen, wenn es am Ochssattel frisch geschneit hat. In Wahrheit driftet sie ja von alleine, man muss es nur dosieren können.“ Andersson und seine Kollegen konnten es, sie holten die WM-Krone 1973.
Roland Scharf