Man hört ihn kommen. Nein, es ist nicht das bullige Röhren von Ferrari, auch nicht das brummend unterlegte Pfeifen eines 911ers. Der VW Käfer aus den 70ern des letzten Jahrhunderts hat einen ganz eigenen Sound. Überheblich könnte man es Brabbeln nennen, was der luftgekühlte Vierzylinder-Boxermotor so von sich gibt; Sympathisanten indes würden ein nobel-verärgertes Räuspern über die Zeit und ihre Sitten heraushören.
Für mich als heute 66-Jährigen war es der automobile
Kammerton meiner Kindheit und Jugend. Bevor die Mittelklassewägen zu einem anonymen Flüsterchor degeneriert waren.
Wie erbeten kommt Klaus Maria Brandauer zur Plätten-Anlegestelle der Suchaneks am Altausseer See gefahren. Ziemlich genau 33 Jahre ist es her, dass er und seine damalige Frau Karin ihn erwarben. Man sieht es ihm
kaum an. Der Lack schimmert, das Chrom blitzt. „Na ja“, sagt Brandauer, „auf den wurde immer gut geschaut und er hat eine Garage.“ Dort hat er offenbar viel Zeit verbracht, denn der Tacho zeigt schlanke 47.675 gefahrene Kilometer an.

47.675 Kilometer stehen auf dem Tacho des VW Cabrio von Klaus Maria Brandauer
47.675 Kilometer stehen auf dem Tacho des VW Cabrio von Klaus Maria Brandauer © Sabine Hoffmann


Die hat der Käfer in Brandauers Heimat gesammelt, für Fernreisen auf dem Landweg kam ein Mercedes zum Einsatz, heute ist es ein Audi A6. Um 1983 waren künstlerisch goldene Zeiten für die Brandauers: Karin feierte erste Erfolge als TV-Regisseurin, Tendenz steigend. Klaus hatte zwei Jahre zuvor als Hauptdarstellerin István Szabós Meisterwerk „Mephisto“ maßgeblich dazu beigetragen, dass der Film mit dem Auslands-Oscar gekrönt wurde. Kurz vor dem Autokauf war er in „Sag niemals nie“ als der bis dahin sicher schillerndste „Bond“-Bösewicht hochgelobt worden, in Salzburg trat er in diesem Sommer seinen Bühnendienst als Jedermann an. Und Karins unzeitiger Tod lag noch gnädige neun Jahre in der Zukunft. Da passte das einigermaßen schnittige Käfer Cabrio gut ins allgemeine Glück.

Guter Kamerad. Hat er den Wagen also aus schlichter
Sentimentalität so lange behalten? Ist er einer Art automobilistischer Agalmatophilie, der Statuenliebe,  erlegen? „Nein“, lacht Brandauer, „weil er mir gefällt und  weil er immer noch ein guter Kamerad ist.“ Aus solchen  Beziehungen entstanden früher oft Kosenamen für Autos.  Hat der Käfer einen? „Nein“, sagt Brandauer, „er heißt  Auto.“ Aber warum trennt man sich beispielsweise von  einem langjährig genützten Auto schwerer als von einem  Kühlschrank?

„Weil der Kühlschrank anfängt zu singen und dann ist es    aus, dieses Auto hat eben nie zu singen begonnen, es  fährt noch ganz wunderbar und deshalb haben wir es  noch. Es ist mir ans Herz gewachsen, aber es bleibt ein  Gebrauchsgegenstand.“ In der Tat habe es in all den  Jahren keine nennenswerten Reparaturen gegeben. Und  damit so eine alte Liebe keinen Rost ansetzen kann, habe man schon erste Anzeichen dafür stets weggepflegt. Eine Methode, die ein Auto mit 65-jähriger Baugeschichte verdient und die wohl auch für langjährige Beziehungen empfehlenswert ist.

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Böse Fee. Die böse Fee an der Wiege des VW Käfers hieß Adolf Hitler. Der gebot 1933 dem Autokonstrukteur  Ferdinand Porsche, einen Wagen zu bauen, in dem zwei  Erwachsene und drei Kinder Platz fänden, der hundert Stundenkilometer schnell sei und nicht mehr als sieben  Liter Kraftsto—ff verbrauchen solle. Dazu kam, dass der  Neupreis mit 999 Reichsmark (heute etwa 3400 Euro) die Tausendermarke nicht übersteigen durfte. Ein  Volks-Wagen halt. Der Ingenieur ging ans Werk, für die  äußere Form sorgte der Designer Erich Kommenda, 1938  rollte der erste Käfer vom Band – und durfte nicht  ausgeliefert werden. Längst hatte sich die Autoindustrie  nämlich auf kriegswichtige Produkte zu konzentrieren,  etwa auf Geländewägen oder Amphibienfahrzeuge. Tausende Deutsche, die mit ihren „Kraft durch Freude“- Wertmarken Anzahlung geleistet und für finanziellen Anschub gesorgt hatten, blieben vorerst ohne den  ersehnten Käfer. Nach Kriegsende ging es rapide voran.

Er wurde tatsächlich zum Volkswagen, bis zu seiner  Einstellung 2003 sollte er mit 21,5 Millionen Stück zum  meistverkauften Auto der Welt werden. Erst sein völlig  andersartiger Nachfolger Golf sollte ihn später überholen. Dass sein Auto somit der Inbegriff— von Massenware ist, aber gerade Künstler auf Individualität großen Wert legen, kontert Brandauer gelassen: „Individuell möchte ich als Mensch und als Künstler sein, das definiere ich nicht über ein Auto“, und setzt lachend hinzu: „Außerdem hat  unseres ein Fetzendachl, ein Fetzendachl! Für die  deutschen Leser: Es ist ein Cabriolet.“ Die Marke VW liege ihm praktisch in den Genen, sagt Brandauer, schon der Vater sei einen Käfer gefahren. „Wenn wir dann am Pötschen an all den kochend hängen gebliebenen anderen  Autos vorbeigekommen sind, waren wir Kinder nicht hämisch, aber unheimlich stolz. Wir haben, auch sehr langsam, aber stetig den Pass überwunden.“ Später sollte die Familie bis Hammerfest oder bis Sizilien fahren.

Den  aktuellen Abgaswerteskandal, mit dem VW mittlerweile nicht mehr ganz allein ist, mag er nicht kommentieren: „Faktum ist, dass mein Käfer nichts dafürkann.“ Etwas  flößt dem Weltstar bis heute Respekt ein: „Dass es ein  Volks-Wagen ist, einer, den man nicht geschenkt  bekommt, aber sich fast jeder ersparen kann.“ Man solle  ihn ja nicht für einen Markenbotschafter von VW halten,  aber diese Leistung, lange vor den meisten anderen  Autobauern, sei unbestritten. Welche Figuren in der  klassischen Bühnenliteratur einem VW Käfer entsprächen? Brandauer denkt nicht lange nach und sagt: „Puck im  ,Sommernachtstraum‘ oder der Narr in ,König Lear‘.“  Welche Eigenschaften diese verbindet? „Ausdauer, Humor, Weisheit und der Beweis, dass Kleines sehr groß sein kann.“

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Genießen. Erinnerungen an einen besonders  schönen Ausflug mit dem Käfer? „Die Karin und ich sind  nach Pürgg gefahren und haben im Gasthof Krenn – wir sind draußen gesessen – eine Mehlspeise genossen.“ Heute, gut drei Jahrzehnte danach, ist Brandauer mit Natalie Krenn, einer Nichte der Wirtin, verehelichte  Brandauer und Mutter von Ferdinand Brandauer (2), zusammen. Und manchmal fahren sie wohl auch nach Pürgg. Mit dem Käfer natürlich. Und, wenn’s geht, o—ffenem Fetzendachl.