Countdown im Rennen um die 63. Goldene Palme, bei dem Schauspielerin Kate Beckinsale ("Underworld") als Jury-Mitglied auffiel: "Schockierend, wie selten ich in den letzten elf Jahren ins Kino gegangen bin, da ich einen elfjährigen Sohn habe." Die Britin geht also sehr unbefangen an ihre Aufgabe der Suche nach einem Nachfolger für Michael Haneke heran.

Alexandre Desplat, Jury-Kollege und Filmkomponist (u. a. "The Queen"), versuchte die Situation zu retten: "Ein guter Film ändert deine Sicht auf die Welt. Es gewinnt, wer uns noch Tage nach der Vorführung beschäftigt."

Geht es nach der Stimmung im internationalen Pressezentrum, sind dies aufgrund ihrer politisch-religiösen Komplexität und Bildsprache "Von Männern und Göttern" des Franzosen Xavier Beauvois und "Biutiful" des Mexikaners Alejandro Gonzáles Iñárritu. Er thematisiert neben der Geschichte eines sterbenden Vaters das Elend illegaler Einwanderer in Spanien. Noch nie sah Barcelona so dunkelgrau aus.

Wie Beauvois wiederum den Alltag von Mönchen, ihre Gesänge und Diskussionen über Glauben, Solidarität und Märtyrertum zeigt, ehe sie in Algerien von muslimischen Fundamentalisten entführt und ermordet werden (ein noch immer ungeklärter Fall von 1996), hallt lange nach und bewegt. Neben Mike Leighs Vier-Jahreszeiten-Komposition "Another Year" ("Ein weiteres Jahr") über Einsamkeit das Herzstück des Festivals.

Feuchte Augen konnte man auch bei "La nostra vita" ("Unser Leben") des Italieners Daniele Luchetti bekommen. Ein Film über die Lebenssinnsuche eines jungen Mannes, dessen Frau bei der Geburt des dritten Kindes stirbt. Toll besetzt mit Elio Germano und Raoul Bova (zuletzt zu sehen in "Baarìa").

Der einzige US-Beitrag im Wettbewerb, "Fair Game" von Doug Liman, ist passabler Mainstream, obwohl er die brisante, wahre Enttarnung der CIA-Agentin Valerie Plame aufrollt, welche die Bush-Regierung erschütterte. Neben Naomi Watts als Plame hat man auch Sean Penn (er gibt ihren Mann, einen öffentlichen Kritiker des Irak-Kriegs) schon viel besser gesehen. Andere Auswirkungen des Irak-Kriegs zeigt Ken Loach, Palmen-Gewinner 2006, als unentschlossene Mischung zwischen Aufklärungskino und Politthriller in "Route Irish" über ehemalige Söldner. Außenseiter-Chancen darf man dem bezaubernden Melodram "Poetry" aus Korea geben.

Für heitere Stimmung wurde außer Konkurrenz gesorgt: Stephen Frears lockere "Tamara Drewe" wird Fans von Komödien wie "Bridget Jones" beglücken. Reicht eine neue Nase für ein neues Leben? Mit einer solchen kehrt Tamara ins Heimatdorf zurück und bringt die Hormone in Wallung. Kassenhit-Potenzial mit Gemma Arterton ("Prince Of Persia") und Dominic Cooper ("Mamma Mia!").

Die neunköpfige Jury zieht sich heute in eine Villa außerhalb von Cannes zurück, um zu beraten. Die Preisträger werden Sonntagabend verkündet.