Ein drahtiger kleiner Mann ist der Lachschlager bei den 63. Filmfestspielen - schon auch mit seiner neuen, gelungenen Komödie "You Will Meet a Tall Dark Stranger" (Kinostart im Herbst), aber vor allem bei der Begegnung mit der Presse. "Sie fragen mich, wie meine Beziehung zum Tod ist? Die gleiche wie immer. Ich bin gegen ihn", sagt Woody Allen und blickt finster hinter seinen Brillen. Der Filmtitel ist nämlich bewusst zweideutig: Mit dem großen, dunklen Fremden könnte der Tod gemeint sein, es ist aber auch der Satz einer Wahrsagerin in puncto neuer Liebe. Die Botschaft: Illusionen und Selbstbetrug ermöglichen ein glücklicheres Leben als Tabletten. Womöglich sind jene, über die wir oft den Kopf schütteln die eigentlich glücklicheren Menschen.

Vertrauen

Allens buntes Ensemble schwärmt von der Arbeit mit dem 74-Jährigen: "Wenn man sich gewöhnt hat, dass er wenig vorgibt, schafft das Vertrauen", sind sich Naomi Watts und Lucy Punch einig. "Du bist ja von Regisseuren gewohnt, dass sie dich herumkommandieren, Woody ist anders", erzählt Josh Brolin. "Ich bin froh, dass ich diese Stars bekomme und halte lieber meinen Mund", gesteht Allen. Stolz ist er auf Anthony Hopkins, der einen Ehemann im dritten Frühling gibt: "Was soll man mit ihm proben? Er tritt vor die Kamera und baut in der Sekunde etwas auf!" Privat, so ließ er wissen, halte er rein gar nichts von Wahrsagerei.

Bruni im Museum

Während die außer Konkurrenz gefeierte Weltpremiere von "You will meet . . ." herzlich beklatscht wurde, hat Allen schon das nächste Drehbuch fertig: "Mitternacht in Paris" mit einer Rolle für Carla Bruni-Sarkozy als Museumsdirektorin. "Sie hat keine Hauptrolle, aber einige Szenen", verrät er und witzelt: "Wenn mein Kreuz und meine Verdauung es zulassen. Ich finde am Älterwerden nichts schön. Rein gar nichts, man wird ja auch nicht klüger!"

Im Wettbewerb um die Goldene Palme gibt es kurz vor der Halbzeit die ersten Favoriten: Der koreanische Erotik-Thriller "The Housemaid" sollte durch seine Ästhetik und hoch spannende Dramaturgie auch bei uns sein Publikum finden. Jeon Do-Yeon, die schon einmal in Cannes mit dem Preis als beste Darstellerin ausgezeichnet wurde (2007), besticht als Haushälterin, die vom reichen Hausherrn ein Kind erwartet und radikal handelt. Quasi "Eine verhängnisvolle Affäre" für das Arthouse-Kino.

Zwischentöne

Bei Altmeister Mike Leigh (67), der schon eine Palme von Cannes und einen Löwen von Venedig besitzt, gab es ebenso viel zu lachen wie bei Allen: In der Tragikomödie "Another Year" konfrontiert der Brite über die vier Jahreszeiten unfreiwillige Singles mit einem nicht nur scheinbar harmonischen Ehepaar. Ein kleines Meisterwerk voller Menschlichkeit und Zwischentönen mit Oscar-reifen Darstellern über Nächstenliebe, Neid und - wie bei Allen - Selbsttäuschung.

Neue Blicke

Doch wer folgt den Veteranen nach? Die Reihe "Un certain regard" wirft einen Blick auf neue Talente. Dort tat sich mit dem 21-jährigen Kanadier Xavier Dolan ein Wunderkind auf (mit der verstörenden Dreiecksgeschichte "Les amours imaginaires"), der Rumäne Radu Mantean (38) quälte auf ungemein lebensnahe Weise mit einem Ehemann, der sich nicht zwischen Frau und Geliebter entscheiden kann. Man saß als Zuschauer mit im Bett oder am Frühstückstisch - und war sowohl beschämt als auch verständnisvoll. Ein Kunststück! Cannes kann es 2010.