„Die Geschichte dieses Seat Ibiza ist eine Liebeserklärung an die Automobilindustrie und ihre Geschichte“, sagt Anna Paier. Ein Foto ihrer Eltern und Großeltern bei der Präsentation des ersten Ibizas begleitet ihre Erinnerungen, in denen das familieneigene Autohaus zu einer regionalen Größe wuchs. Der stolze 40er, der seit einigen Jahren in der Garage gepflegt und gehütet wird, stammt von einer Kärntnerin, die ihn für einen Neuen eintauschte. Im steirischen Autohaus Paier ließ die Kärntnerin ihren 40 Jahren jungen Ibiza zurück und Anna Paier, in dritter Generation tätig, nahm sich des Schmuckstücks an.

Wahre Schönheit

Etwas über 40.000 Kilometer, im originalen Erstlack gehalten, wie ein Neuwagen schaut er aus. Paier bezeichnet das Geburtstagskind als „Brücke zu den Erinnerungen und Erlebnissen, die er ermöglichte“. Für sie ist ein „Monument der Individualidät, Qualität, und des Stolzes“, und weiter, „in einer Zeit, in der Autos immer mehr zu austauschbaren Gütern werden. Er ist ein lebendiges Zeugnis dafür, dass wahre Schönheit und Wertigkeit zeitlos sind.“

Dieser Zeitlosigkeit nähert man sich am besten über die Vergangenheit, die sich an einem Platz in Barcelona versammelt hat. Im Zona-Franca-Quartier, wo einst das erste Werk stammt, wird die Geschichte der Spanier noch tagtäglich gelebt. In einer Halle mit knapp 400 Zeitzeugen.

Man ist zuallererst einmal baff. Hunderte Seats stehen hier. Schräge Stücke genauso wie Ikonen, jedes Auto erzählt Geschichten und Anekdoten. Alles begann 1950, als Spanien noch in der finsteren Franco-Architektur verharrte. Sechs Banken, Fiat und der staatliche Industrie-Konzern-Verwalter standen am 9. Mai 1950 Pate - ja, an dem Tag wurde auch die europäische Union gegründet – für ein Projekt, das Spanien mobiler und unabhängiger machen sollte. Fiat-Produkte wurden quasi in Lizenz erworben, die Teile in Barcelona hergestellt und auf Rädern hieß das Produkt Seat, abgeleitet und gekürzt vom offiziellen Namen Sociedad Espanola de Automoviles de Turismo S.A..

Der Mobilitätsbeschleuniger

Der Weg für die Spanier war schnell geebnet, als Mobilitätsbeschleuniger trat aber erst der 600er auf (baugleich mit dem Fiat 600), in Spanien aber kultig wie ein Mini. Rund 800.000 Stück wurden produziert, knapp 600 Kilogramm war der Kleine leicht (18 PS anfangs!), der Preis günstig, damit wurde Mobilität leistbar.

Scheidung und Gerichtsverfahren

Seat nahm Fahrt auf, bis zur Scheidung mit Fiat und Querelen und skurrilen Gerichtsverfahren, in dem man bewies, dass der Seat Ronda nicht dem Fiat Ritmo abgekupfert worden war. Die Techniker malten einfach jedes nicht baugleiche Teil gelb an, das Gericht sprach Seat frei. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Aber das Leben wurde nicht einfacher, erst mit dem Einstieg und dann mit der Übernahme von und durch Volkswagen begann ein langer Weg, auf dem man die Kunst des Überlebens perfektionierte. Und der von bunten Anekdoten, Legenden und Mythen begleitet wird. Etwa, als man 1992 für die olympischen Spiele ein E-Auto auf die Räder stellte, mit dem E-Motor einer Waschmaschine und einer Batterie, die keine 50 Kilometer schaffte. Oder, als man in nur zwei Wochen ein Papamobil für den Papstbesuch baute, weil der Mercedes G nicht in die Stadien gebracht werden konnte - zu groß für die Einfahrt. Oder, als man den Seat Ibiza Rey für den heutigen König Felipe VI. zu dessen 18. Geburtstag baute: Ein Einzelstück, goldig eingefärbt, 100 PS, Recaro-Sportsitze.

Überhaupt der Ibiza.

Vor 40 Jahren rollte er erstmals auf dem Asphalt, es war eine einzigartige Co-Produktion: Porsche leistete den technischen Support beim Motor, beim Design war der legendäre Giorgio Giugiaro am Werk und die Fahrgastzelle stammte vom Zulieferer Kharmann. Man hatte plötzlich den internationalen Geschmack getroffen, klein, wendig, leicht, jugendlich, irgendwie war die DNA von Seat so gesetzt. Und das ganz ohne Kopien.

Der Ibiza als Überlebensgarantie

Ohne Ibiza, darüber ist man sich heute einig, würde es Seat heute nicht mehr geben. Zu schwierig die wirtschaftliche Situation, über Jahrzehnte entwickelte man die Kunst und das G‘spür für das Überleben. Man hatte zwar den Nerv getroffen, aber der endgültige Wandel – und die positiven Zahlen – kamen erst mit Ex-Chef Luca de Meo (heute Renault) und Wayne Griffiths (der aktuelle Vorstandsvorsitzende).

Griffiths, bekennender Kärnten-Liebhaber (Klopeinersee etc.) und in der für Europa lange bestimmenden Manchester-Clubszene aufgewachsen, hat ein untrügerisches G‘spür für die Marke und wie man sich im hierarchischen Volkswagenumfeld durchsetzt, ohne im nächsten Moment abgeschrieben zu werden. Und er war auch ein Mastermind hinter der Cupra-Idee, um Seat in wirtschaftlich ruhigere Gewässer zu führen.

Keine Rede vom Ende

Der gebürtige Engländer mit dem rauhen Charme war es dann auch, der den Abgesang auf Seat stoppte, als Gruppenchef Thomas Schäfer (Volkswagen) angeblich das „Aus“ für Seat ab 2030 verkündete. Ein Missverständnis, aus dem Zusammenhang gerissen, hieß es später. Und wer es dann noch immer nicht glaubte, der wurde von den Verkaufszahlen überzeugt. Ohne die Seat-Verbrenner würde das Duo Seat/Cupra schlecht dastehen. Deshalb lebt Seat weiter. Genauso wie der Ibiza, der zum 40er neu aufgelegt wird.