Halb eins in der Früh, die meisten Menschen schlafen seelenruhig in ihrem Bett, für mich fängt der Arbeitstag jedoch bereits an. Gemeinsam mit Jürgen Wild werde ich heute der Müdigkeit trotzen und hunderte Zeitungen zustellen.
Nach einem kurzen „Guten Morgen“ geht es los. Erste Station: Zeitungen abholen. Ein wenig nervös betrete ich die Halle und von überall treffen mich neugierige Blicke. „Neuer Lehrling?“, werde ich gefragt. „Nicht ganz“, erwidere ich. „Schade“, finden nicht nur die Kollegen von Wild.
„Wir würden immer wieder Menschen, vor allem auch junge, brauchen“, erzählt er. Selbst hat er schon 2005 mit dem Zustellen von Zeitungen angefangen und ist seither Feuer und Flamme für diesen Beruf. Dass er nebenbei noch einen Vollzeitjob hat, stört ihn nicht.
„Zwar gehen sich meistens nicht mehr als drei bis vier Stunden Schlaf aus, aber daran gewöhnt man sich ganz schnell.“ „Drei bis vier Stunden Schlaf pro Nacht? Das ist nichts für mich!“, denke ich mir. Tatsächlich beginne ich schon beim Start der Tour zu gähnen, Wild wirkt noch total fit und ausgeruht.
Schnell merke ich, dass dieser Beruf nicht viel mit langweiligem Autofahren zu tun hat. Wie ein Sprinter hüpft Wild aus seinem Auto, liefert die Zeitung in Rekordzeit ab und steigt danach wieder zurück in sein Fahrzeug. „Bei mehr als 600 Zeitungen in der Nacht laufe ich circa 14 Kilometer“, erzählt er ganz bescheiden.
Doch nicht nur gute Beinarbeit ist gefragt, treffsicher muss man auch sein. Viele der Zeitungen wirft er aus dem Auto direkt vor die Haustür, manche sogar aus dem fahrenden Auto. „Das kann doch nicht so schwer sein“, denke ich mir und versuche es. Ich ziele, ich werfe und ich scheitere kläglich. Die Zeitung landet im Nirgendwo. Ernüchtert steige ich aus und stecke sie in den Postkasten.
Seit zwei Wochen liefert Wild die Zeitungen nicht nur sehr schnell, sondern auch fast unhörbar leise aus. Mit seinem neuen Elektroauto macht er kaum noch Geräusche in der Nacht, ein großer Vorteil, wie er selbst sagt. „Ich habe schon viele positive Rückmeldungen von Bewohnern bekommen.“ Doch nicht nur der Lärmpegel ist ein Vorteil seines neuen Gefährtes. „Mit diesem Auto habe ich viel weniger Probleme, Reparaturen fallen kaum an und Volltanken kann ich an den öffentlichen Ladestationen. Ganz nebenbei tue ich der Umwelt auch etwas Gutes damit“, erzählt er stolz. Anfangs habe man ihn belächelt, nun interessierten sich aber immer mehr seiner Kollegen für sein Auto.
Nach knappen drei Stunden des Werfens, Rennens und Redens ist meine Arbeitsnacht vorbei. Für meinen Kollegen geht es noch bis in die Morgenstunden weiter. „Bis 6 Uhr habe ich Zeit, das geht sich locker aus“, erzählt Wild mit schon gewohnter Ruhe.