So manchen Investor und Analysten hat der börsennotierte Feuerfestkonzern RHI mit diesem unternehmenspolitischen Paukenschlag wohl aus dem Schlaf gerissen. Um knapp nach Mitternacht teilte das Unternehmen mit, dass man sich mit dem Branchenriesen Magnesita mit Hauptsitz in São Paulo zusammenschließen werde. Und dann ging’s Schlag auf Schlag: Der Hauptsitz des Unternehmens wird von Österreich in die Niederlande verlegt.
RHI werde sich zudem von der Wiener Börse verabschieden, das gemeinsame Unternehmen „RHI Magnesita“ wird künftig in London an der Börse notieren. Starker Tobak mit viel Erklärungsbedarf. Das übernahmen Wolfgang Ruttenstorfer, interimistischer Vorstandschef der RHI, und Finanzvorständin Barbara Potisk-Eibensteiner. Sie präsentierten die Details zum Megadeal.
In den Niederlanden werde eine „kleine Holding“ eingerichtet, die künftig der Hauptsitz der Gesellschaft wird, so Ruttenstorfer. Gelenkt werde das Unternehmen aber weiterhin von Wien aus, in Österreich werde auch künftig der Gesamtgewinn versteuert. Für die Wiener Börse ist der nahende Abschied eines ATX-Schwergewichts aber freilich eine bittere Pille. London, so Ruttenstorfer, sei aus Expertensicht nun einmal der beste Börsenstandort für die Art der Rohstoffindustrie. Hätte es das Brexit-Votum nicht gegeben, wäre auch der Sitz der Gesellschaft nach London übersiedelt.
Generell spielt London in der Anbahnung des gigantischen Deals eine große Rolle, die wichtigsten Gespräche fanden allesamt in der britischen Hauptstadt statt. Als Drahtzieher und Architekt der Fusion gilt der begnadete Netzwerker Martin Schlaff. Über die familieneigene Holding hält er schon jetzt 25 Prozent der RHI-Anteile, sein Sohn David sitzt im Aufsichtsrat des Unternehmens. Überhaupt gilt der Aufsichtsrat in RHI-Kreisen gewissermaßen als Schlaff-Freundeskreis. Mit dem Vorsitzenden Herbert Cordt verbindet Schlaff eine langjährige Geschäftsbeziehung, mit Ex-Kanzler Alfred Gusenbauer, ebenfalls im Gremium, reiste der Investor per Privatjet schon zu Champions-League-Finalspielen.
Der Wunsch des Eigentümers
Im Unternehmen jedenfalls, so erzählt ein mit der Sache eng Vertrauter, war der „Fusionswunsch des Eigentümers omnipräsent“. So wenig von den Plänen auch an die Öffentlichkeit drang, so intensiv wurde intern darüber debattiert. „Immer wieder hieß es, die Fusion stehe knapp bevor, immer wieder wurde zurückgerudert.“ Dabei sei in der RHI rasch klar gewesen, dass es aus Marktsicht sehr sinnvoll ist, mit der Magnesita zu fusionieren. Der Markt ist stark fragmentiert, die chinesische Konkurrenz, die schon 50 Prozent des Feuerfest-Weltmarkts regiert, wird immer stärker.
Mit Magnesita wächst RHI vor allem geografisch. Der neue globale Konzern werde 40 Prozent seines Umsatzes in Nord- und Südamerika machen, 30 Prozent in Europa und 30 Prozent in Asien, dem Nahen Osten und Russland, so Ruttenstorfer. Das „dolomitbasierte Produktportfolio“ erweitert zudem das Produktportfolio. Die jährlichen Synergieeffekte werden – je nach tatsächlicher Anteilshöhe – zwischen 36 und 71 Millionen Euro pro Jahr beziffert.
Aber zurück zur Vorgeschichte: Als RHI-Boss Franz Struzl im Juni gesundheitsbedingt als CEO ausschied, entstand eine neue Dynamik. Es folgte zur Überraschung vieler nämlich keiner der anderen Vorstände interimistisch, sondern Wolfgang Ruttensdorfer, eigentlich stellvertretender Aufsichtsratsvorsitzender. Dieser hatte wiederum nur einen klar definierten Auftrag, dem er seine ganze Zeit verschrieb, wie es heute heißt: die Fusion umzusetzen.
Wie sich der spektakuläre Zusammenschluss auf die österreichischen Standorte auswirken wird? „Ich erwarte keine Auswirkungen“, betont Ruttenstorfer nun. Dass in der Branche insgesamt Konsolidierungsdruck herrsche und permanente Betriebsstättenoptimierung auf dem Programm stehe, verhehlt er nicht. Doch das sei auch unabhängig von der geplanten Fusion der Fall.