Die von der Koaltion beschlossenen Obergrenzen oder Richtwerte für die Aufnahme von Asylwerbern in Österreich spalten die SPÖ. Nun versucht Altbundeskanzler Franz Vranitzky im Gespräch mit der Kleinen Zeitung zu vermitteln.

"Die Maßnahme ist nicht gerade aus einem sozialdemokratischen Pflichtenheft abgeschrieben", sagt Vranitzky. "Aber angesichts dessen, was wir derzeit erleben, was wir nach allen Prognosen noch erwarten müssen und wie sich andere Mitgliedsländer der EU verhalten, müssen wir wahrscheinlich eine neue Pflicht einführen."

"Auch Unkonventionelles tun"

Konkret rät der Altkanzler jenen in seiner Partei, die über die Einführung eines Richtwerts oder einer Obergrenze empören, das Gewicht der "Bürde" nicht zu unterschätzen, die Österreich aufgeladen wurde und wird. "Wir, also die Regierung und auch die SPÖ, müssen darauf achten, dass ein kleines Land wie Österreich nur eine gewisse Bürde schultern kann." Um zu vermeiden, dass es erdrückt werde, müsse ein  "verantwortlicher Politiker auch Unkonventionelles tun".

Außerdem fordert Vranitzky "ein höheres Maß an Europäischer Solidarität" ein. "Die Solidargemeinschaft namens EU kann ja nicht dann aufhören  zu bestehen, wenn die Herausforderung größer wird. Es sei etwas Wahres dran, wenn Vizekanzler Mitterlehner auf das Fehlen einer europäischen Lösund hinweise. "Es gibt sie ja wirklich nur in ganz kleinen Spurenelementen."

"Eine nicht ganz unernste Situation"

Auf die Frage, ob die Regierung zu spät gehandelt habe, meinte Vranitzky, "Wir haben jetzt viele Weisheiten des Rückblicks. Man kann doch nicht sagen, was die Deutschen vor einem Jahr gemacht haben, war völlig falsch. Sie sind wie auch bis zu einem gewissen Grad die Österreicher und Schweden, von der Dynamik überrollt worden."

Die Kluft in seiner Partei rät Vranitzky mit "Konversation" zu überbrücken: "Sich zusammensetzen, darüber zu reden, die Argumente gegeneinander abzuwägen  und Überzeugungsarbeit zu leisten." Es sei "eine nicht ganz unernste Situation", gibt Vranitzky zu, "aber politische Bewegungen sind immer wieder damit konfrontiert, dass nicht alle das gleiche glauben".

Für die Europäische Union, in die Vranitzky Österreich vor zwanzig Jahren geführt hatte, sieht der Altkanzler noch Hoffnung. "Es ist natürlich heutzutage nicht so einfach, sich als glühender Europäer hinzustellen, wo so manche Hoffnung, die man vor Jahren hatte, verglüht ist. Aber verglüht ist nicht abgestorben. Das ist eine Herausforderung: an dem Gesamtwerk nicht zu zweifeln.

INTERVIEW: THOMAS GÖTZ