Wenn am Sonntag bei den Wahlen Syriza gewinnen sollte, wie in Umfragen prognostiziert, wäre es das erste Mal in der griechischen Geschichte, dass eine linksradikale Partei an die Macht kommt: Muss man sich fürchten?

GIORGOS CHONDROS: Nein, natürlich nicht. Syriza ist eine offene demokratische Partei, und das werden wir auch bleiben. Mit unterschiedlichen Strömungen, weil wir keine stalinistische Partei sind, wie uns von manchen Medien unterstellt wird, und das auch nicht werden wollen.


Warum sind Sie bei Syriza?


CHONDROS: Ich komme von der Basis, stamme aus der Studenten- und Umweltbewegung. In meiner Studienzeit war ich unter den Besetzern der Hainburger Au, ich habe damals Völkerkunde in Wien studiert. Ich war auch sehr aktiv bei den Globalisierungskritikern des Europäischen Sozialforums. Syriza ist eine Partei, die aus all diesen Bewegungen entstanden ist.


Und aus der kommunistischen Partei Griechenlands.


CHONDROS: Ja, sowieso. Ich habe in Graz gute alte Genossen. Graz war in den 1970er-Jahren zur Zeit der Militärdiktatur in Griechenland ein bedeutendes Zentrum des Widerstands.


Griechenland steht mit 220 Milliarden Euro bei den Eurostaaten und dem IWF in der Kreide: Syriza fordert den Schuldenschnitt. Ist das nicht dreist?


CHONDROS: Kein Ökonom weltweit kann ernsthaft behaupten, dass die griechischen Schulden bezahlbar sind. Die waren am Anfang 120 Prozent vom Bruttoinlandsprodukt, jetzt liegen sie bei 175 Prozent. Das heißt: Die Rettungsprogramme haben das Ziel total verfehlt. Obwohl die Banken so viele Milliarden bekommen haben, ist der Schuldenberg gewachsen – 74 Prozent der Hilfsmilliarden sind wieder direkt zurück in die Banken geflossen.


Ist es nicht verständlich, dass sich der EU-Steuerzahler nach den Milliardenzahlungen an Griechenland sagt: ,Jetzt reicht’s!’?


CHONDROS: Die griechischen Staatsschulden waren großteils Schulden bei Privatbanken. Der europäische Steuerzahler hatte nichts damit zu tun. Erst durch die sogenannten Hilfsprogramme sind die griechischen Staatsschulden vergesellschaftet worden. Das war der Trick. Das Rettungsprogramm hat nicht Griechenland gerettet, sondern die Banken. Hypo-Bank – sagt Ihnen das was? Wer hat daran verdient? Hatten die österreichischen Steuerzahler etwas davon? Es ist das selbe Modell. Die neoliberale Doktrin vergesellschaftet die privaten Verluste. Die Hypo-Bank hat unter den österreichischen Steuerzahlern keine Gewinne verteilt. Die Deutsche Bank hat die Gewinne auch nicht mit den Griechen geteilt: Warum werden, vereinfacht gesagt, die Verluste geteilt?


Griechenland hat sich dazu entschlossen, bei diesem Spiel mitzumachen, das Land hat die Spielregeln gekannt. Kann man dann mitten im Spiel sagen: ,Jetzt mag ich aber nicht mehr!’, weil es nicht gut läuft?


CHONDROS: Wenn es eine Syriza-Regierung in einem Mitgliedsland der EU gibt, fängt die Diskussion anders an. Die Karten müssen alle auf den Tisch und neu gemischt werden. Auch in Spanien deutet alles darauf hin, dass die Sparpolitik nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Und dann sagt man sich das vielleicht auch in Italien. Wir kämpfen gegen eine neoliberale Spardoktrin, die nie dort ansetzt, wo sie sollte, sondern den Mittelstand und die Ärmeren auspresst. Eine Jugendarbeitslosigkeit von 60 Prozent in Griechenland: So etwas hat es in Friedenszeiten noch nie im Westen gegeben!


Namhafte Ökonomen wie Hans-Werner Sinn sagen: Okay, Griechenland schafft es so nicht, das Land muss raus aus der Euro-Zone. Was sagt Ihre Partei dazu?


CHONDROS: Wenn ein Land raus geht, bedeutet das in der Praxis, dass der Euro-Raum zerfällt. Daran hat derzeit niemand ein Interesse. Zum Glück. Für Syriza ist der „Grexit“ keine Option.
INTERVIEW: MANUELA SWOBODA