Seit zwölf Uhr sind die Abstimmungslokale in der Schweiz geschlossen, jetzt wird ausgezählt.

Nach der "Ausschaffungsinitiative" kam die "Durchsetzungsinitiative", kurz DSI genannt: Mehr als fünf Jahre, nachdem die Schweizer per Volksentscheid die bis dato strengste Regelung zur Abschiebung krimineller Ausländer beschlossen hatten, haben sie heute über eine erneute Verschärfung abgestimmt.

Der Gesetzentwurf der rechtspopulistischen Schweizerischen Volkspartei (SVP) sieht die automatische Ausweisung (Ausschaffung) straffällig gewordener Nichtschweizer vor - und das selbst schon bei kleineren Vergehen, sogenannten Bagatell-Delikten.

Hier chronologisch die Ereignisse  in diesem Schweizer Abstimmungs-Krimi: 

Die ersten Hochrechnungen: "Zürich, Aargau und Graubünden sagen Nein zur Durchsetzungs-Initiative",  schreibt der Schweizer "Blick".

Auch das Schweizer Radio und Fernsehen SRF meldet: "Hochrechnung: Kanton Zürich lehnt die SVP-Initiative deutlich ab."

Der Schweizer Politologe Claude Longchamp lässt sich  bereits zu einer Prognose hinreißen und erklärt im SRF vor laufender Kamera: "Die SVP hat am heutigen Tag mit ihrer Durchsetzungsinitiative eine Niederlage erlitten".

Die SVP hat sich mit der Niederlage abgefunden. Fraktionschef Adrian Amstutz gibt den fairen Verlierer.

Ausreißer im Trend: Im Tessin scheint die SVP laut jüngsten Hochrechnungen des Schweizer Radio und Fernsehens allerdings zu punkten: Nach Auszählung von 64 der 135 Tessiner Gemeinden sind rund 60 Prozent für das Volksbegehren der SVP, meldet der Sender.

Schon der Kampf vor der Abstimmung ließ an Dramatik wenig zu wünschen übrig:

Mit einem simplen Bild warb die SVP - die stärkste Partei in der Schweiz - für ihre Volksinitiative "zur Durchsetzung der Ausschaffung krimineller Ausländer": Ein weißes Schaf auf der roten Fahne mit dem Schweizer Kreuz befördert ein schwarzes Schaf mit einem kräftigen Fußtritt nach draußen.

Die Liste der Gründe, für die Ausländer ihr Aufenthaltsrecht verlieren, ist noch länger als bei der ersten Abstimmung im November 2010. Zu ihnen zählen neben Mord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit auch Drogenhandel und Sozialmissbrauch - oder geringfügige Vergehen wie "einfache Körperverletzung", Teilnahme an einer Rauferei, "falsche Anschuldigungen" und "Drohungen gegen Beamte", wenn es sich um Wiederholungstäter handelt. Betroffen sind auch Nachkommen von Einwanderern, die in der Schweiz geboren und aufgewachsen sind, aber nicht die Staatsbürgerschaft besitzen.

Regierung und Parlament hatten bei ihrer Umsetzung der ersten Initiative im vergangenen März eine Klausel eingefügt, die es Richtern ermöglicht, in Härtefällen die automatische Ausweisung zu stoppen. Die SVP sprach von einer Verwässerung des Volksentscheids - mit der neuen Regelung würden Einzelfallprüfungen und die Abwägung der Verhältnismäßigkeit nun weitgehend entfallen.

Kontroverse in der Schweiz

Die Initiative sorgt für heftige Kontroversen in einem Land, in dem immerhin ein Viertel der ständigen Bewohner keinen Schweizer Pass hat. Allerdings steht die SVP mit ihrem Vorstoß weitgehend allein da. Eine breite Front lehnt ihn ab, darunter alle anderen Parteien sowie Regierung und Parlament, nach deren Auffassung sie gegen die "Grundregeln" der Demokratie verstößt.

Eine Petition für ein Nein zur SVP-Initiative wurde seit ihrem Start Ende Jänner von 50.000 Menschen unterschrieben, darunter Hunderte Prominente, Rechtsprofessoren und amtierende und frühere Abgeordnete. Der Vorsitzende der Bürgerlich-Demokratischen Partei, Martin Landolt, verbreitete über Twitter ein Plakat, das zeitweise an mehreren eidgenössischen Bahnhöfen hing und mit dem zu einem Hakenkreuz umgewandelten Schweizer Kreuz für das Nein warb.

Nach einer Berechnung des Statistikamts wären im Jahr 2014 knapp 3900 Ausländer ausgewiesen worden, wäre das im vergangenen März verabschiedete Gesetz damals schon in Kraft gewesen. Nach der neuen SVP-Initiative wären es mehr als 10.200 gewesen. Tatsächlich waren es rund 500.

Die Kampagne der SVP wurde skeptisch betrachtet. Vor allem zuletzt schien bei vielen Wählern nach anfänglicher Zustimmung ein Umdenken eingesetzt zu haben: In einer Meinungsumfrage des Instituts gfs.bern im Vorfeld der Abstimmung lehnten 49 Prozent der Befragten die Initiative ab, bei 46 Prozent stieß sie auf Zustimmung. Allerdings waren bis zum Wochenende fünf Prozent noch unentschieden.

Zweite Röhre für Gotthard-Straßentunnel

Bei weiteren Volksabstimmungen ging es heute in der Schweiz unter anderem auch um den Bau einer zweiten Röhre für den Gotthard-Straßentunnel. Die Regierung will diese Röhre, um den in die Jahre gekommenen Tunnel sanieren zu können, ohne den Verkehr auf der wichtigsten Transitstrecke durch die Alpen unterbrechen zu müssen. Eine weitere von der Regierung abgelehnte Initiative fordert gleiche Steuern für verheiratete Paare und Paare, die ohne Trauschein zusammenleben und oftmals weniger zahlen müssen.

Nach Angaben des Politologen Claude Longchamp im SRF-Studio war schon eine halbe Stunde nach Schließen der Abstimmunglokale klar, dass die zweite Gotthard-Röhre deutlichen Zuspruch gefunden habe. Longchamp rechnete mit mindestens 55 Prozent Zustimmung. Die zweite Röhre kommt.