Der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan hat größere Macht für sein Amt gefordert und dringt auf eine Änderung der Verfassung. Das vom Volk gewählte Staatsoberhaupt müsse mehr als nur eine symbolische Funktion haben, verlangte er am Donnerstag in Ankara in einer Rede vor Vertretern gesellschaftlicher Gruppen.

"Wir sind überzeugt, dass die Türkei bei der Schaffung der 'Neuen Türkei' ein exekutives Präsidialsystem und eine neue Verfassung braucht", sagte Erdogan. Vorwürfe, er verfolge mit seinen Forderungen ehrgeizige persönliche Ziele, wies er zurück. Kritiker, die Erdogan einen autoritären Führungsstil vorhalten, fürchten dagegen eine größere Machtfülle des Präsidenten.

Erdogan ist das erste Staatsoberhaupt der Türkei, das direkt vom Volk gewählt und nicht wie zuvor vom Parlament bestimmt wurde. Seit seiner Wahl im August 2014 hat der Politiker der islamisch-konservativen AKP immer wieder deutlich gemacht, dass er eine Ausweitung der Rechte des Staatschefs anstrebt, um an der Spitze eines Präsidialsystems die Politik des Landes zu bestimmen.

"Wenn das Präsidialsystem die richtige Wahl für die Türkei ist, dann sollte es auch in die Praxis umgesetzt werden", sagte Erdogan. Derzeit hat der Präsident laut Verfassung eher repräsentative Aufgaben. Das parlamentarische System der Türkei sei nicht mehr zeitgemäß, monierte er. Die gegenwärtige Situation, in der Präsident und Ministerpräsident vom Volk gewählt werden, sei nicht tragbar. Vor seiner Wahl zum Präsidenten hatte Erdogan selbst ein Jahrzehnt lang das Amt des Regierungschefs inne.

Er erwarte, dass sich die politischen Parteien und die gesellschaftlichen Gruppen an der Formulierung einer neuen Verfassung beteiligen. Die Gewaltenteilung werde dabei einer der wichtigsten Punkte sein. Letztlich solle das Volk und nicht das Parlament über die neue Verfassung entscheiden.

Auch Opposition dafür

Auch die Oppositionsparteien plädieren für eine neue Verfassung, stammt sie doch aus der Zeit des Militärputsches im Jahr 1980 und trägt die Handschrift der Generäle. Für ein Land, das in die Europäische Union strebt, sei das nicht angemessen, argumentieren Oppositionspolitiker. Zugleich warnen sie aber vor der Gefahr eines autoritären Systems.

Doch nicht wenige Türken hegen Sympathie für einen starken Präsidenten in einer Zeit, da ihr Land immer tiefer in die Konflikte in der Region gerät. Ihre Armee, die zweitgrößte der NATO, kämpft an zwei Fronten: gegen Kämpfer der verbotenen Kurdischen Arbeiterpartei PKK im Südosten der Türkei und gegen die radikal-islamische IS-Miliz im Grenzgebiet zu Syrien und zum Irak. Im Inland mehren sich Anschläge von Extremisten, erst am 12. Jänner sprengte sich in Istanbul ein Attentäter in die Luft - zehn deutsche Urlauber starben. Mehr als zweieinhalb Millionen Syrer sind in die Türkei geflohen. Und die Jahre des rasanten Wirtschaftswachstums sind vorbei.