Die EU-Kommission wirft der Türkei im neuen Fortschrittsbericht laut der Zeitung "Die Welt" (Dienstag) eine "Verlangsamung" des Reformtempos vor. Wie das Blatt unter Berufung auf die Einschätzung zu dem EU-Beitrittskandidaten berichtete, beklagt Brüssel unter anderem "bemerkenswerte Rückschritte" bei der Durchsetzung von demokratischen Grundrechten wie der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit.

Neue polizeiliche Ermittlungsverfahren gegen Journalisten, Schriftsteller und Nutzer sozialer Medien seien "Besorgnis erregend", hieß es. Zudem wirft die Kommission Ankara eine "wachsende Intoleranz gegenüber öffentlichen Protesten" sowie eine "restriktive Interpretation des Versammlungsrechts" vor.

"Stillstand"

Beim Aufbau eines unabhängigen Justizsystems trete die Türkei auf der Stelle, dort gebe es seit 2014 "keine Fortschritte". Einen "Stillstand" bemängelt die EU-Kommission der "Welt" zufolge auch bei der sogenannten Kurdenfrage. Brüssel fordert die Türkei demnach zu einer Aussöhnung mit den Kurden auf. Es sei "zwingend", den Friedensprozess wieder aufzunehmen, zitierte die Zeitung aus dem Fortschrittsbericht. Im Kampf gegen die Korruption seien die Anstrengungen der Türkei zudem "unzureichend".

Es gibt aus Brüssel dem Bericht zufolge aber auch Lob für Ankara, etwa für die wirtschaftliche Entwicklung des Landes und für die "bemerkenswerten Anstrengungen" bei der Aufnahme syrischer Flüchtlinge. Es habe Fortschritte bei der Integration der Flüchtlinge gegeben, hieß es. "Aber es existieren einige Gesetzeslücken. Die Türkei sollte noch Gesetze auf den Weg bringen, die Syrern, die unter vorübergehendem Schutz stehen, Zugang zum Arbeitsmarkt erlauben."

Mit Blick auf die Sicherung der Grenzen fordert die EU-Kommission von Ankara trotz einiger Fortschritte mehr Anstrengungen. Es fehle immer noch ein "integriertes Grenzmanagement-System" und eine einzige zivile Grenzschutzagentur. "Die Koordination und Zusammenarbeit zwischen den existierenden Grenzschutzagenturen muss verbessert werden", schreiben die EU-Experten der Zeitung zufolge.

Hahn stellt Bericht heute vor

EU-Erweiterungskommissar Johannes Hahn stellt am Dienstag die umstrittenen Fortschrittsberichte für die Türkei und für die anderen EU-Kandidatenländer vor. Die Berichte über die Kandidatenländer Türkei, Serbien, Montenegro, Bosnien-Herzegowina, Mazedonien und Kosovo waren ursprünglich für Oktober vorgesehen.

Nach dem Besuch des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan in Brüssel war die Veröffentlichung verschoben worden und findet nun erst nach den Parlamentswahlen in der Türkei vom 1. November statt. Die EU-Kommission war deshalb unter Druck geraten: Kritiker werfen ihr vor, damit die islamisch-konservative AKP von Präsident Recep Tayyip Erdogan unterstützt zu haben, um ein Entgegenkommen Ankaras in der Flüchtlingspolitik zu erreichen.