Für den gesamten Irak brauche es internationale Unterstützung. "Sowohl die Peshmerga (kurdische Kämpfer, Anm.) als auch die irakische Armee brauchen stärkere Waffen", sagte Dakhil. Man verfüge zwar über militärisches Gerät, dieses sei aber nicht ausreichend, um die IS-Jihadisten wirkungsvoll zu bekämpfen.
Zudem erinnerte sie an die prekäre humanitäre Situation im krisenerschütterten Irak: "Wir brauchen momentan jede Hilfe, vor allem für die Flüchtlinge", erklärte Dakhil. "Medikamente, Essen, Wasser - wir können nicht genug davon auftreiben." Problematisch sei zudem die schwierige hygienische Situation. "Jeden Tag sind wir mit Krankheiten konfrontiert, die wir nicht heilen können", erklärte die Politikerin. "Wir haben einfach keine Mittel dafür."
Über 2.500 Yeziden (Jesiden) sind laut Dakhil von IS-Extremisten verschleppt worden, bei 2.000 davon handle es sich um Mädchen. Hunderte Angehörige der kurdisch-religiösen Minderheit sind aufgrund ihres Glaubens von den Jihadisten getötet worden - vor allem im Zuge des Vormarsches beim Sinjar-Gebirge im Nordwesten des Iraks, ehemals eines der Hauptsiedlungsgebiete der Yeziden. Seither sehen sich die IS-Extremisten dort einer Gegenoffensive gegenüber: Peshmerga-Kämpfer haben seitdem mit Unterstützung von US-Luftangriffen weite Teile des Sinjar-Gebirges zurückerobert. Viele Yeziden befinden sich aber nach wie vor in IS-Gefangenschaft.
"Von einigen wissen wir, wo sie sich ungefähr befinden, ein Großteil von ihnen ist jedoch überall verstreut", erklärte Dakhil. Möglicherweise seien einige der Entführten derzeit in Syrien. "Unsere Pflicht ist es, sie zu finden und zu befreien", erklärte sie mit Bestimmtheit. "Man kann sich gar nicht vorstellen, was diese Leute alles durchmachen müssen. Mädchen werden misshandelt, vergewaltigt und geschändet im wahrsten Sinne des Wortes." Wie die Ortung und die Befreiung der Entführten genau vonstattengehen sollten, könne sie zwar auch nicht sagen, sprach sich aber zugleich für eine Lösungsfindung gemeinsam mit dem Internationalen Komitee des Roten Kreuzes (IKRK) aus.
Um die Beziehungen zwischen den kurdischen Yeziden und ihren Nachbaren - Schiiten, Sunniten, Araber - in der Region beim Sinjar-Gebirge steht es seit dem Drama, das sich 2014 über mehrere Monate dort abspielte, denkbar schlecht. Damals suchten die Anhänger der religiösen Minderheit vor den IS-Jihadisten auf unwirtlichen Bergplateaus und -abhängen Zuflucht, viele kamen dabei etwa durch Dehydrierung ums Leben. Wie andere auch, wirft Dakhil den Nachbarn nun "Verrat" vor: "Jahrhundertelang gingen wir friedlich Hand in Hand und dann wurden wir einfach verraten", empörte sie sich. "Alle um uns herum haben sich auf die Seite des IS geschlagen."
An eine Aussöhnung zwischen den verschiedenen Völkern und Religionen in der Region glaubt die Politikerin nicht. "Wie soll jemals wieder ein gutes Zusammenleben bestehen? Das was 2014 (den Yeziden, Anm.) passiert ist, hätte wahrscheinlich auch zu irgendeinem anderen Zeitpunkt passieren können. Es ist unverzeihlich", sagte Dakhil und forderte internationalen Schutz für die Anhänger der religiösen Minderheit.
Sie räumte ein, dass nicht nur jede yezidische Familie mittlerweile mindestens ein Familienmitglied aufgrund des Kriegs im Irak verloren habe. "Es sterben natürlich genauso Christen, Schiiten und Sunniten", sagte Dakhlil. "Aber die Yeziden werden wegen ihrer Religion getötet, weil sie sich weigern eine andere anzunehmen. Mädchen werden vergewaltigt, weil sie Yezidinnen sind. Männer und Kinder werden getötet, weil sie Yeziden sind." An Aufgeben sei trotzdem nicht zu denken: "500 Mädchen konnten fliehen und brauchen derzeit Hilfe bei ihrer Rehabilitation. Es ist nicht einfach und braucht auch seine Zeit, aber die Hoffnung ist da", so Dakhil.
Offenbar dringt der Einsatz der Politikerin für die religiös-ethnische Minderheit bis zu den Yeziden selbst durch und gibt Hoffnung: Ein yezidisches Mädchen, das der IS-Gefangenschaft entfliehen konnte, habe Dakhil unlängst erzählt: "Als ich dich während meiner Gefangenschaft im Fernsehen sah, und du so stark über unser Volk gesprochen hast, wusste ich, dass ich eines Tages hier rauskommen werde. Du gibst uns den Mut, nicht aufzugeben."
"Vian Dakhil ist eine weltbekannte, mutige Aktivistin, die sich dem Völkermord an den Yeziden (Jesiden) tapfer widersetzt", heißt es seitens des Bruno-Kreisky-Forums zur Verleihung des Menschenrechtspreises. Sie fordere globale Unterstützung gegen Gräueltaten und Mithilfe zur Befreiung von Gefangenen des IS, zudem verstärke sie täglich "die kaum hörbaren Stimmen" yezidischer Frauen und Mädchen, die durch die Jihadisten missbraucht worden seien. Dakhil sei "bemerkenswert" und bleibe "unaufhaltsam" in ihrem Appell, an die internationale Gemeinschaft zu intervenieren und das Leben der Yeziden zu schützen. Im Jahr 2014 hatte Dakhil für ihr Engagement bereits den Anna-Politkovskaya-Preis erhalten.