Schulpolitik ist in diesen Tagen eine Hochschaubahn der Gefühle. Zu Wochenmitte wurde der Neuen Mittelschule in einem 470-seitigen Bericht ein vernichtendes Zeugnis ausgestellt. Jetzt sickert ein Expertenpapier unter dem Titel „Freiraum für Österreichs Schulen“ durch, das SPÖ und ÖVP im Herbst in Auftrag gegeben hatten und in den nächsten Wochen von der großkoalitionären Bildungsgruppe, der auch Erwin Pröll angehört, prioritär behandelt werden soll. „Ich habe meinen Augen nicht getraut, als ich es gelesen habe“, meinte der stets kritische, grüne Bildungssprecher Harald Walser. „Das Papier atmet einen neuen Geist.“ Zu den Eckpunkten des Papiers, das der Kleinen Zeitung vorliegt.
SCHULPFLICHT: Die klassische Schulpflicht wird abgeschafft, stattdessen wird die Bildungspflicht (bis 14) und die Bildungsgarantie (bis 18) eingeführt. Schüler verlassen etwa erst dann die Volksschule, wenn sie schreiben, rechnen und lesen können – und nicht automatisch mit zehn Jahren oder nach der vierten Klasse.
AUTONOMIE: Das ist das Kernelement des neuen Konzepts. Der Bund legt die Bildungsziele fest, den Schulen wird die Verantwortung für Pädagogik, Organisation, Personal und Finanzen übertragen.
SCHULSTUNDEN: Die Schulen sollen autonom den Tagesablauf fixieren können. Sie sollen etwa selbst entscheiden können, ob sie an der 50-Minute-Stunde festhalten wollen oder nicht, ob sie den Unterricht blocken wollen, wie die Unterrichtseinheiten über den Tag verteilt werden.
LEHRSTOFF: Die Schulen können zu 25 Prozent vom vorgeschriebenen Lehrplan abweichen und eigene Schwerpunkte setzen.
ÖFFNUNGSZEITEN: Die Schulen sollen – im Sinn der Ganztagsbetreuung für Kinder von berufstätigen Eltern – bereits um sieben Uhr früh öffnen und um 18 Uhr schließen. Der Unterricht beginnt allerdings erst um 8 Uhr 30 und endet um 16 Uhr 30.
FREIE TAGE: Die fünf schulautonomen Tage werden gestrichen, dafür haben Schüler Anspruch auf fünf Freitage im Laufe eines Schuljahrs.
DIREKTOREN: Schulleiter sollen befristet, nämlich nur auf fünf Jahre, bestellt werden. Eine Verlängerung ist natürlich möglich. Den pragmatisierten Direktor gibt es dann nicht mehr.
PRÄMIEN: Die Direktion kann Leistungsprämien für besondere pädagogische Leistungen vergeben. KLEINSCHULEN: Österreich zählt 242 Volksschulen mit nur einer Klasse. Die Experten meinen allerdings, eine Volksschule sollte eine Mindestgröße von 200 Schüler, ein Gymnasium eine Größe von 400 Schüler anpeilen. Kleine Standorte sollen nicht geschlossen werden, sondern wie in Niederösterreich im Verbund (ein Direktor für drei oder vier Schulen) zusammengefasst werden.
QUALITÄTSSICHERUNG: Eine Schlüsselrolle spielt eine neu einzurichtende Qualitätssicherungsstelle. Die Grünen wollen hierfür eine unabhängige Stelle schaffen.
BILDUNGSDIREKTIONEN: Im Sinn der Verwaltungsvereinfachung sollen auf Landesebene Bildungsdirektionen eingerichtet werden, die den Landeshauptleuten unterstellt sind. Die Landesschulräte in der bisherigen Form werden abgeschafft. Die Länder wären für die Schulerhaltung und die gesamte Personalbewirtschaftung zuständig.
ZEITPLAN: Die Experten gehen davon aus, dass die Umsetzung des Konzepts rund zehn Jahre braucht (wie einst in Finnland).