Hinter jedem wankelmütigen Mann steht eine starke Frau: Juan Peron weiß, was er an seiner "Evita" in Andrew Lloyd Webbers Musical hat. Ohne die charismatische Eva an seiner Seite wäre er wohl kaum Präsident Argentiniens geworden. Allerdings: Das "First Couple" musste bei der gestrigen Premiere im Wiener Ronacher mit einigen Problemen kämpfen, bis es für die Rückkehr des Klassikers Jubel gab.
Immerhin 35 Jahre nach der deutschsprachigen Erstaufführung, damals im Theater an der Wien, gibt es nun den Aufstieg und Fall der schon zu Lebzeiten abgöttisch verehrten Eva Peron wieder als schwungvolle Ansammlung von Ohrwürmern zu erleben. Für Inszenierung und Choreografie konnten die Vereinigten Bühnen Wien mit Vincent Paterson einen mehr als prominenten Namen gewinnen, hat der US-Amerikaner doch nicht nur bei der Hollywoodverfilmung mit Madonna mitgewirkt, sondern auch bereits mit Größen wie Michael Jackson oder Lars von Trier gearbeitet.
Buenos Aires
Für seine Wiener "Evita" hat er sich jedenfalls einiges einfallen lassen - wenngleich das gern angewandte Spiel mit Gegensätzen nicht immer funktionierte: Wo der Auftakt mit dem "Requiem" der soeben verstorbenen Nationalheldin die Trauer und Melancholie stimmig einfing, gab es schon im nächsten Moment eine karikierte Landpartie mit Strohballen und Schlagerschmalz. Hier begegnete man erstmals der jungen Eva Duarte, den Sänger Magaldi bezirzend, um in das herbeigesehnte Buenos Aires zu gelangen. Ihren "Big Apple!"
Er stotterte, der Motor dieses vielgestaltigen Musicalapparates. Besonders in der ersten Hälfte gelang es nur phasenweise, mit groß angelegten Ensemblebildern für wirkliche Wow-Effekte zu sorgen, ohne der Geschichte ihren Charakter zu entziehen. Was man Paterson aber in jeder Sekunde zugutehalten durfte: Seine Choreografien, egal ob unscheinbar oder ausladend, stellten sich stets in den Dienst der Erzählung. Hier musste man sich nicht nur auf Drehbühne oder bewegliche Aufbauten (Stephan Prattes) verlassen, um auf den Punkt zu kommen.
Aber an diesem Abend hob man ohnehin lieber ab: Nicht nur spielte ein Großteil des Geschehens auf Treppen, Balkonen oder in gläsernen Zimmern in luftiger Höhe, auch Evita selbst durfte zum Ende hin wie eine Heilige auf das Geschehen herabblicken. Katharine Mehrling schien aber nicht nur an Stahlseilen über den Dingen zu stehen. Die deutsche Darstellerin, die ihr Wien-Debüt gab, verkörperte Eva Peron mit viel Verve und Energie, bis zu einem gewissen Grad aber auch unnahbar und entrückt. Dachte ihr künftiger Präsidentengatte (sehr solide: Thomas Borchert) ob der potenziellen Gegnerschaft im Land an Flucht, so brachte sie ihn gebieterisch zur Raison.
Die Stimmen
Gesanglich schien es, als ob sich Mehrling parallel zur Rolle erst mit den Gegebenheiten vertraut machen müsste. War sie zunächst ebenso schrill wie ihre Eva naiv und voller Tatendrang, fand sie zusehends einen Mittelweg aus bloßer Kraft und pointierter Gestaltung - diese Staatsfrau schien sich von nichts etwas anhaben zu lassen. Wäre da nicht Che, der Erzähler des Abends, steter Kritiker der ganz auf Macht ausgerichteten Evita, den Drew Sarich mit Leichtigkeit zeichnete. Seine Darbietung war ohne Fehl und Tadel und machte es nicht nur den männlichen Kollegen schwer, gegen ihn zu bestehen.
Aber die ganz großen Nummern waren dann doch für Evita reserviert: Allen voran "Wein nicht um mich Argentinien", bei dem Paterson auf ablenkendes Brimborium verzichtete und seine Hauptdarstellerin zu den Klängen des Orchesters der Vereinigten Bühnen Wien unter Koen Schoots schmachten ließ. Zeit, zu verharren, blieb allerdings nicht. Schnell, schnell ging es in den nächsten Aufzug, hetzten Evita und ihre Männer von Station zu Station, wurde Europa bereist, eine Stiftung gegründet, das Amt als Vizepräsidentin angestrebt.
Am Ende blieb von all diesen Bestrebungen wenig: nämlich nur der Sockel eines geplanten Denkmals von Eva Peron, wie Che das Publikum wissen ließ. Ein massives Fundament war es auch, das im Ronacher für "Evita" gezimmert wurde. Paterson und seinem Leading Team gelang es leider nicht immer, das darauf Platzierte wirklich stabil zu konstruieren. Dennoch: Gewitzt die Veranschaulichung politischer Machtspiele mittels Entenschießen; geglückt die Animationen rund um das zusehends vom Leben gezeichnete Paar Peron; und gelungen das Verhältnis zwischen Pomp und Gesellschaftskritik. Für den Wahlkampf im Musiktheater scheint diese "Evita", trotz einiger Abstriche, jedenfalls gerüstet.