Spätsommernachmittag am Kleinstadtrand. Ein gut frequentiertes Kaffeehaus. Im Hintergrund Kreissägengeräusche. Auftritt des Autors: ein junger, großer, ausladender Mann. Seitenscheitel, Schnurrbart, und tatsächlich: Wollpullunder, Streifenhemd. Das ist Ferdinand Schmalz, 30. Es gibt Leute, die halten ihn für den interessantesten jungen Dramatiker des Landes. Burgtheaterdirektorin Karin Bergmann zählt dazu: „Mit dem haben wir noch viel vor“, verrät sie in einer privaten Konversation kurz nach der Saisonpräsentation im Sommer. Zu diesem Zeitpunkt steht „dosenfleisch“ bereits auf dem Spielplan 2015/16.

Premiere ist heute Abend im Burgtheater Kasino. Das Bemerkenswerte daran: „dosenfleisch“ ist erst Schmalz’ zweites Stück. 2013 hat er mit seinem Erstling „am beispiel der butter“ den Retzhofer Dramapreis gewonnen; im Vorjahr wurde das Stück im Burg-Vestibül gezeigt, sein Autor in der Kritikerumfrage von „Theater heute“ zum Nachwuchsautor des Jahres gekürt.

Ab heute in Wien:
Ab heute in Wien: "dosenfleisch" mit Frida-Lovisa Hamann als 'Jayne' (vorne) und Katharina Ernst (percussion) © APA/BURGTHEATER/REINHARD WERNER

Und so weiter: Die Uraufführung von „dosenfleisch“ im Juni bei den Autorentheatertagen am Deutschen Theater in Berlin heimste reihum Lob und Hudel ein. Nach dem Burgtheater haben demnächst auch Schauspielhaus Graz und Salzburger Landestheater den „Theaterthriller“ (© Der Spiegel) auf dem Spielplan. Schmalz’ drittes, jüngst fertiggestelltes Stück „Der Herzerlfresser“ wird im November in Leipzig uraufgeführt, eine Woche darauf folgt die nächste Inszenierung (Deutsches Theater Berlin) und an „Der thermale Widerstand“, einem Auftragswerk für das Schauspielhaus Zürich, schreibt er gerade.

Braun gebrannt, unverdellt

Viel Zeit zum Luftholen lässt eine solche Taktung wohl eher nicht? Ach, woher, sagt Schmalz, „dass meine Stücke auch nachgespielt werden, ist gut für meine Arbeitsweise, weil ich nicht sofort von einem Projekt in das nächste hineinmuss“. Den „Herzerlfresser“, basierend auf der Geschichte des 1786 wegen fünffachen Mordes verurteilten Kindberger Knechts Paul Reininger, der glaubte, er würde unsichtbar, wenn er die Herzen von sieben Jungfrauen verzehrte, hat Schmalz vier Jahre mit sich herumgetragen, ehe er daraus einen Thriller um die Eröffnung eines Einkaufszentrums in der Provinz formte.

Die Idee zu „dosenfleisch“ kam ihm vor drei Jahren bei einer Amerikareise, als ihm in Kalifornien just an der Kreuzung, an der James Dean anno 1955 tödlich verunfallte, eine amerikanische Familie auffiel: „Klassische Vertreter der Leistungsgesellschaft, braun gebrannt, unverdellt, erfolgsverwöhnt, und die waren ganz eigenartig von dem Unfallort angezogen. Da war eine Sehnsucht nach Abgründigkeit zu spüren, nach einem Nichtfunktionieren und Aus-der-Bahn-Geraten.“ Verarbeitet hat Schmalz diese Eindrücke in einem Text, in dem eine Art Untergrundbewegung Menschen in Blechkisten zur befreienden Kollision verhilft. Der Titel ist mithin selbsterklärend, der Schauplatz: natürlich eine Autobahnraststätte. Denn Schmalz, als Matthias Schwaiger in Admont aufgewachsen, hat ein Faible für soziale Nebenschauplätze. Molkerei, Raststation, Gewerbepark, Kurbad sind bei ihm bildhafte Orte, an denen „ein ganzer Rattenschwanz an gesellschaftspolitischen, theoretischen Überlegungen“ sinnlich fassbar wird. Verstärkt durch eine artifizielle, sehr spezielle Schmalzsprache. In „dosenfleisch“ berichtet eine der Figuren von einem schweren Unfall so: „mein ich hat da im fleischsalat die strenge form verloren. und ist man erstmal offiziell zu bruch gegangen, sieht man die vielheit da in sich, die möglichkeiten.“

Das ist, natürlich, schon mit Schwab verglichen worden, mit Jelinek und Jandl, es liegt etwas sehr Österreichisches darin, Verspieltheit und Experiment und unerwartete Scharfkantigkeit unter der barocken Oberfläche. Für dieses kunstvolle Gewirk braucht Schmalz, der sich sonst gerne austauscht, im „Drama Forum“ von uniT, mit Freunden, mit Dramaturgen, den Rückzug zum Schreiben, „Momente, in denen niemand auf mich Zugriff hat, wo ich allein am Material herumdoktere“. Durch Lesen, Rhythmisieren, Wörterpolieren, bis das Unbewusste durch sie hindurchschimmert. Denn da ist sich der Autor sicher: „Die Sprache weiß oft mehr als das, was sie mitteilt.“

Und sie braucht, auch da ist Schmalz gewiss, den sprechenden Körper. Sowie das Theater, als Gemeinschaftsraum. „Da müssen Leute zusammenkommen, anwesend sein.“ Tun sie auch. „dosenfleisch“ ist heute ausverkauft.

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