"Zerreißprobe“ hieß die legendäre Performance, mit der Günter Brus 1970 seine Karriere als (Wiener) Aktionist beendete und jene als überaus erfolgreicher Bild-Dichter begann. Zeichner war Brus schon zuvor, wie auch in der Ausstellung „Das gezeichnete Ich“ zu sehen ist. Nicht zuletzt am Beispiel von Grafiken, die im Zusammenhang mit Aktionen entstanden.

Mike Parr, so die Legende, begann zu zeichnen, nachdem er 1981 beim Versuch, 24 Stunden lang zu lachen, scheiterte. Der Australier entsagte Aktionen aber nicht, 2003 etwa saß er dreißig Stunden in einer Galerie, seinen einzigen Arm an eine Wand genagelt. In „Das gezeichnete Ich“ ist Parr mit großartigen Radierungen und Kupferstichen vertreten. Es sind Bestandsaufnahmen des eigenen Gesichts, die der Künstler „schonungslos“ nennt, ihnen aber therapeutischen Charakter zuspricht. Im Video einer relativ jungen Aktion hält sich Parr hundert seiner Selbstporträts vor das Gesicht und dabei jeweils den Atem an.

Natürlich ist auch Günter Brus selbst in der Ausstellung vertreten
Natürlich ist auch Günter Brus selbst in der Ausstellung vertreten © universalmuseum joanneum

Der Titel „Das gezeichnete Ich“ erweist sich nicht nur im Fall von Brus und Parr als zweideutig. Der Befund der künstlerischen Individuen, die sich ihrem Selbst stellen, ist durchwegs einer der Erschöpfung. Weshalb Kurator Roman Grabner nicht zufällig Alain Ehrenbergs „Das erschöpfte Selbst“ zitiert. Ein Werk, in dem der französische Soziologe Ende des 20. Jahrhunderts eine zunehmende Kultur der Depression konstatiert. Aus der wiederum Zweifel an der eigenen Identität resultieren.

Wer bin ich?

Die Beiträge eines Dutzends von Künstlerinnen und Künstlern haben tatsächlich nichts mit den repräsentativen (Selbst-)Porträts einer langen Kunstgeschichte zu tun. In der sich natürlich schon vor dem „Stichjahr“ 1900 Beispiele für einen Zugang finden lassen, der Skepsis – „Wer bin ich?“ – über Affirmation – „Das bin ich!“ – stellt. Von Dürer über Rembrandt bis van Gogh.

Das Spektrum der Möglichkeiten, das eigene gezeichnete Ich zu zeigen, erweist sich in der äußerst anregenden Schau als breit. Auch innerhalb des Werks einzelner Positionen. So ist Maria Lassnig mit frühen, surrealistisch beeinflussten Arbeiten ebenso vertreten wie mit späten Bildern, treten sich Max Peintner und Walter Pichler in unterschiedlichen Phasen ihres markanten Schaffens gegenüber.

Guillaume Bruère alias Giom, Thomas Palme und Tomak unterziehen sich jeweils grafischen Selbstanalysen. Die physische Dynamik des Zeichnens generiert aufschlussreiche Einblicke in psychische Verfassungen.

Mit der Amerikanerin Chloe Piene, der Britin Nicola Tyson, Sandra Vásquez de la Horra aus Chile und Paloma Varga Weisz aus Deutschland setzen neben Lassnig weitere Frauen starke Akzente mit höchst unterschiedlichen Ansätzen. Varga Weisz, als eigenwillige Holzbildhauerin international bekannt, zeigt Aquarelle von überraschender Poesie und von poetischem Witz. Vásquez de la Horra schöpft ihre faszinierenden Bilder aus lateinamerikanischen Traditionen.