Szenische Aufführungen in London, Straßburg, Kopenhagen, Santa Fe, Frankfurt, Lübeck, Québec, New York und jetzt auch Wien sichern "The Tempest" von Thomas Adès den Spitzenrang unter den erfolgreichsten zeitgenössischen Opern. 2004 im Royal Opera House in London aus der Taufe gehoben, hatte die Vertonung des von Meredith Oakes zum Libretto umgearbeiteten „Sturms“ von William Shakespeare die Kritik entzweit. Während seine Landsleute den damals 32-jährigen Briten zum Nachfolger von Benjamin Britten ausriefen, rümpfte das deutsche Feuilleton fast einhellig die Nase über den "zeitgenössischen Wohlfühlkomponisten".

Letztlich haben beide Seiten recht. Thomas Adès schreibt mit großer handwerklicher Souveränität eine Musik, die trotz aller Komplexität den Hörer mit ihrer Sinnlichkeit unmittelbar emotional anspricht und stets auf Textverständlichkeit achtet. Ohne in simplen Eklektizismus zu verfallen, bedient sich Adès gekonnt der gesamten Musikgeschichte, wobei er unterschiedlichste Elemente zu schillernder Polystilistik amalgamiert. Nicht zuletzt instrumentiert er brillant, und deshalb verwundert es kaum, dass er sich als Dirigent in Wien zehn Minuten mehr Zeit nahm als zuvor in London und New York, um die funkelnde philharmonische Klangmagie des Staatsopernorchesters genüsslich auszukosten.

Den elf Solisten hat Adès rhythmisch schwierige, in der Tessitur oft extreme, letztlich aber melodisch durchaus dankbare Aufgaben gestellt. Die extremsten Herausforderungen hat der Luftgeist Ariel zu meistern, der allein im ersten Akt 48 Mal das dreigestrichene E erklimmen muss. Audrey Luna bewältigt diese schwindelerregenden stratosphärischen Koloraturkaskaden mit phänomenaler Bravour und bewegt sich überdies mit akrobatischer Leichtigkeit.

Adrian Eröd bringt als Prospero leichte Ermüdungserscheinungen seines Baritons geschickt in sein facettenreiches Porträt eines vom Rachedurst zu versöhnlicher Resignation findenden Herrschers ein. Als seine Tochter Miranda darf Stephanie Houtzeel mit weiblich aufblühendem Mezzosopran im Liebesduett mit dem als Ferdinand lyrisch schwärmenden Tenor Pavel Kolgatin belcanteske Linien auskosten.

Aus dem hochklassigen Ensemble ragen der Tenor Thomas Ebenstein als gar nicht monsterhafter Caliban, der Countertenor David Daniels als Trunkenbold Trinculo, Herbert Lippert als schmerzgebeugter König von Neapel sowie Sorin Coliban als profunder Gonzalo hervor.

Die schon in Québec und New York bewährte Inszenierung des kanadischen Starregisseurs Robert Lepage hält meisterhaft die Balance zwischen Welttheater, Zauberspiel und Komödie. Sie bietet Theater auf dem Theater, zeigt Prosperos Zauberinsel als Mailänder Scala (Bühnenbild: Jasmine Catudal) und spart nicht mit Bühnenzauber, um den Abend zum umfassenden Gesamtkunstwerk zu runden.

ERNST NAREDI-RAINER