Die aktuelle Frühjahrsproduktion des Grazer Theaters im Bahnhof (TiB) wartet sowohl mit Bewährtem als auch mit Überraschungsmomenten auf. In dem von Regisseurin Monika Klengel als "Wimmelbild" formatierten Stück erzählen sieben Protagonisten auf einer mit dem Publikum verwobenen, als Wohnzimmer eingerichteten Bühne im Volkshaus 100 Grazer Schicksale in Kurz- und Ultrakurz-Biografien.

Das Bewährte an dem am Donnerstag uraufgeführten Ensemble-Stück "Die gekränkte Gesellschaft" ist einerseits die Form der milden Interaktion mit dem Publikum, das in typischer TiB-Manier wieder zur Gänze in die Spielfläche des Stücks integriert ist. Bereits lieb gewonnene Tradition ist wohl auch das zeitkritische Befassen mit aktuellen Themen.

Das Motto des Abends ist trefflich im Pressetext umschrieben: "Anfällige Körper in einer anfälligen Zeit, verwundete Seelen in einer verwunderlichen Zeit, überforderte Leiber in überforderten Lebensgeschichten. Die Zeit heilt alle Wunden, so heißt es. Unsere Zeit fügt uns Wunden zu, so scheint es. Wir waren noch nie so gesund wie jetzt. Wir waren noch nie so gekränkt wie jetzt."

Für Überraschungen wiederum sorgt die fein ausgewogene, mitunter gewagte Dramaturgie. Gekonnt verstehen es die TiB-Wimmelbildner um Regisseurin Klengel in nicht weniger als vier Sprachen (hauptsächlich Deutsch, eine Menge Englisch sowie ein bisschen Spanisch und Ungarisch) die Spannung über den gesamten Abend hinweg aufrechtzuerhalten - und das ohne Pause.

Mithilfe von sparsamer, aber exzellent ausgesuchter Bühnenmusik, teils heftigen Tempo- und Stimmungswechseln gelingt es den Erzählerinnen und Erzählern Jacob Branigan, Juliette Eröd, Veza Maria Fernandez Ramos, Eva Hofer, Elisabeth Holzmeister, Rupert Lehofer und als Zeichnerin Helene Thümmel das Publikum trotz ansehnlicher Stücklänge stets bei der Stange zu halten.

Die beiden Herren im Team dürfen an diesem Abend in bester Stadtneurotiker-Manier männliche Schwächen genüsslich ausleben und die Damen ihre (scheinbare) Überlegenheit durch gekonnt-verräterische Annäherungen an den Rand des Nervenzusammenbruchs konterkarieren.

Für das ultimative Gelingen des Stücks sorgt der Schluss, der angesichts des Schnellfeuers der fiktiven, aber für den geborenen oder gelernten Grazer wohl auch wegen eindeutig verorteten Topologie vertraut anmutenden Lebensgeschichten kein einfaches Unterfangen darstellt.

Doch auch diese Hürde nimmt das TiB an diesem Abend meisterlich. Das durch die Bühnensituation zahlenmäßig limitierte Publikum dankte es mit zweifachem Hervorklatschen der Protagonisten.

ANDREAS STANGL, APA