Deutschland steht nach der Bundestagswahl vom Sonntag vor einer schwierigen Regierungsbildung.
Sie habe die Absage der Sozialdemokraten zwar vernommen, dennoch "sollte man im Gesprächskontakt bleiben", sagte Kanzlerin Angela Merkel. SPD-Chef Martin Schulz verweigerte sich allerdings weiter Koalitionsgesprächen.
Nach dem Absturz der SPD auf ihr schlechtestes Nachkriegsergebnis bei einer Bundestagswahl hat die Partei laut Schulz eine Neuausrichtung "als Projekt der nächsten Wochen und Monate verabredet". Bis zum Parteitag im Dezember solle in mehreren Klausursitzungen und auf acht Regionalkonferenzen beraten werden. Auf die Frage, ob er beim Parteitag erneut als Parteichef kandidiere, antwortete Schulz knapp mit "Ja".
Der Vorstand der bayrischen CSU sprach sich unterdessen einstimmig für ein Festhalten an der Fraktionsgemeinschaft mit der CDU im Deutschen Bundestag aus. In einem am Montag in München getroffenen Vorstandsbeschluss fordert die CSU allerdings zeitnah ein Festlegen auf eine gemeinsame politische Linie mit der Schwesterpartei, wie es aus Teilnehmerkreisen hieß.
Zugleich legte sich die CSU-Spitze darauf fest, erst in Sondierungsgespräche mit möglichen Koalitionspartnern einzutreten, wenn der künftige Kurs der Union mit der CDU geklärt ist. Die zentralen politischen Punkte müssten geklärt werden, bevor man in eine Sondierung mit anderen eintrete, hieß es. Dabei gehe es aber um viel mehr als die CSU-Forderung nach einer Obergrenze für Flüchtlinge.
CSU-Chef Horst Seehofer hatte zuvor im Vorstand das Verhältnis zur CDU zur Debatte gestellt und damit auch die Fraktionsgemeinschaft. Er selbst befürwortete aber ein Festhalten daran. Der CSU-Vorstand sprach Seehofer auch das Vertrauen aus, wie es weiter hieß.
Die Fraktionsgemeinschaft aus CDU und CSU muss zu Beginn jeder Legislaturperiode bestätigt werden. Die Union hat bei der Bundestagswahl schwere Verluste hinnehmen müssen, ist aber weiterhin stärkste Kraft. Vor allem die CSU büßte in Bayern dramatisch ein. Sie tritt nur in Bayern an, die CDU nur in den übrigen 15 Bundesländern.
Skepsis
In der CSU gibt es außerdem große Skepsis hinsichtlich einer möglichen Zusammenarbeit mit den Grünen in einer Jamaika-Koalition. Von der Automobilität bis zur Migrationspolitik und anderen Themen sehe sie "noch nicht die großen Schnittmengen", sagte die stellvertretende bayerische Ministerpräsidentin Ilse Aigner am Montag am Rande der CSU-Vorstandssitzung in München. Der frühere bayerische Ministerpräsident Günther Beckstein (CSU) sagte, Grüne und CSU seien "wie Feuer und Wasser". "Sachlich sind wir Welten entfernt."
Vor der Landtagswahl in Niedersachsen am 15. Oktober dürften aber keine wichtigen Entscheidungen fallen "Ich nehme nicht an, dass jetzt tiefere Koalitionsverhandlungen vor der Niedersachsen-Wahl erfolgen", sagte Seehofer. "Aber: Anschließend ist die bayerische Wahl. So wie wir Rücksicht nehmen auf Niedersachsen, wollen wir auch, dass dann die bayerischen Interessen in Berlin rücksichtsvoll behandelt werden." Das könnte bedeuten, dass die CSU harte Forderungen etwa in der Flüchtlingspolitik erst nach der vorgezogenen Neuwahl in Niedersachsen erheben wird.
FDP-Chef Christian Lindner, der am Montag zum Fraktionsvorsitzenden gewählt wurde, hält den Eintritt seiner Partei in eine Jamaika-Koalition mit Union und Grünen nur bei einem spürbaren Politikwechsel in Deutschland für möglich. "Wir wollen die Richtung der Politik verändern", sagte Lindner am Montag in Berlin. "Wir lassen uns nicht in eine Regierung zwingen, deren politische Koordinaten wir nicht gutheißen können."
Wenn eine neue Regierung "nur mit anderen Farben" das gleiche wie die Große Koalition mache, "wäre das ein Wählerbeschaffungsprogramm für Protestparteien". Union aus CDU/CSU, SPD und Grüne seien in wesentlichen Punkten "ununterscheidbar" geworden und hätten die politische Mitte geräumt. Diese Lücke wolle die FDP als "Partei der vernünftigen Argumente" füllen.
Lindner signalisierte Gesprächsbereitschaft für eine Jamaika-Koalition. Die Liberalen seien "selbstverständlich bereit zur Übernahme von Verantwortung". Mögliche Gemeinsamkeiten mit den Grünen sieht er dabei bei der Reform des Bildungsföderalismus, der Frage bürgerlicher Freiheitsrechte und bei Investitionen in den Ausbau des Glasfasernetzes für schnelles Internet.
Zum Knackpunkt einer Zusammenarbeit mit den Grünen könnte die Umweltpolitik werden: Während die Ökopartei ein Ende des Verbrennungsmotors bis 2030 fordert, lehnen die Liberalen Verbote von Dieselautos und Benzinern strikt ab. Lindner betonte, die FDP stehe zu den Pariser Klimazielen. Unterschiede zu den Grünen gebe es aber bei den Wegen, um diese Ziele zu erfüllen. Statt staatlicher Subventionen wolle seine Partei die Ziele mit marktwirtschaftlichen Instrumenten erreichen.
Die deutschen Grünen betonten ebenfalls ihre Bereitschaft für ernsthafte Sondierungen mit Christdemokraten und Liberalen über eine Jamaika-Koalition. Es sei klar, dass alle Kompromisse machen müssten, sagte Parteichef Cem Özdemir am Montag vor der Parteizentrale in Berlin, wo sich der Bundesvorstand der Partei zu Beratungen traf.
"Ich weiß, dass wir nicht die stärkste Fraktion sind in solchen Gesprächen", betonte er. Am Ende müssten die Grünen das Ergebnis aber guten Gewissens vertreten können. Özdemir appellierte an alle Parteien, ernsthafte Gespräche zu führen. "Das schließt die SPD mit ein", betonte er. Vielleicht gebe es mit einigen Tagen Abstand bei den Sozialdemokraten eine Neubewertung der Lage.
Nach dem vorläufigen Endergebnis der Bundestagswahl erhielt die Union (CDU/CSU) 33,0 Prozent der Stimmen nach 41,5 Prozent 2013. Die SPD sackte auf 20,5 (2013: 25,7) Prozent. Mit 12,6 Prozent wird die AfD, die 2013 mit 4,7 Prozent knapp den Einzug ins Parlament verpasst hatte, drittstärkste Kraft. Die 2013 mit 4,8 Prozent ebenfalls knapp gescheiterte FDP zieht mit 10,7 Prozent wieder in den Bundestag ein. Die Linkspartei erhält 9,2 (8,6) Prozent, die Grünen verbessern sich auf 8,9 (8,4) Prozent.
Damit ziehen sieben Parteien in den Deutschen Bundestag ein, so viele wie seit 1949 nicht mehr. CDU und CSU stellen 246 Abgeordnete, die SPD erhält 153 Sitze. Die AfD bekommt 94 Mandate, die FDP 80. Die Linkspartei entsendet 69 Politiker in den Bundestag, die Grünen 67. Die Wahlbeteiligung lag bei 76,2 (71,5) Prozent. Der neu gewählte Bundestag wird aus 709 Abgeordneten bestehen (2013: 631 Abgeordnete).