In der Affäre um den Giftgasanschlag auf den Ex-Doppelagenten Sergej Skripal haben bereits 19 der insgesamt 28 EU-Staaten russische Diplomaten ausgewiesen. Heute stieß noch das bündnisfreie Irland, die beiden anderen neutralen EU-Länder Finnland und Schweden sind ebenso dabei. In der Slowakei hat sich jetzt der Staatspräsident für eine Ausweisung von Diplomaten stark gemacht, Slowenien überlegt noch. Nicht dabei sind - derzeit - noch Portugal, Griechenland, Bulgarien, Luxemburg, Slowenien, Österreich und eben die Slowakei. Belgien wechselte am Abend die Fronten.
Österreich muss für sein Abseitsstehen bei der konzertierten Aktion gegen Russland in der Giftaffäre zunehmend Kritik einstecken. Scharfe Wort fand der ehemalige OSZE-Sonderbeauftragte zum Kampf gegen Radikalisierung, Peter Neumann. "Das ist Österreich, wie es seine Brücken zum Westen niederbrennt", twitterte der Londoner Terrorexperte, der im Vorjahr vom damaligen Außenminister Kurz in dessen Eigenschaft als OSZE-Vorsitzender zum Sonderbeauftragten der Sicherheitsorganisation gemacht worden war.
In den Abendstunden meldete sich dann Außenministerin Karin Kneissl zu Wort und wies die jüngste Kritik an der Entscheidung Österreichs, in der Giftaffäre keine russischen Botschafter aus dem Land zu weisen, am Abend zurück. "Wir brennen hier überhaupt nichts nieder", sagte Kneissl am Dienstagabend in Belgrad. "Wir sind zweifellos ein Land des Westens", betonte sie. Wer das anzweifle, "weiß nicht, wovon er spricht".
"Neutralität für einen EU-Mitgliedsstaat ist ein schlechter Witz", twitterte der frühere lettische Außenminister Artis Pabriks. "Welche weiteren EU-Politiken/-Entscheidungen lässt (Bundeskanzler Sebastian) Kurz nicht in Österreich gelten?" Pabriks meldete sich in einer vom früheren schwedischen Außenminister Carl Bildt begonnenen Twitter-Diskussion zu Wort. Der konservative Politiker hatte gemeint, dass "die Neutralität kaum mit der EU-Mitgliedschaft kompatibel" sei. Auch sei es "ein großer Unterschied, Teil des Westens zu sein oder eine Brücke zwischen dem Westen und dem Osten", bemängelte der als Transatlantiker geltende Bildt. Pabriks und Bildt gehören der Europäischen Volkspartei (EVP) an, deren Mitglied auch die ÖVP von Bundeskanzler Sebastian Kurz ist.
Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) verteidigte am Rande ihrer Südosteuropa-Reise die Entscheidung, keine russischen Diplomaten auszuweisen. Gegenüber der APA forderte sie am Dienstag eine "volle Aufklärung der Sachverhalte". Doch werde sich Österreichs Haltung voraussichtlich auch dann nicht ändern, wenn sich herausstelle, dass Russland für den Anschlag von Salisbury verantwortlich sei. Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Kneissl hatten am Montagnachmittag gemeinsam mitgeteilt, dass Österreich die Rückberufung des EU-Botschafters aus Moskau mittrage, aber keine nationalen Maßnahmen setzen werde. "Vielmehr wollen wir die Gesprächskanäle nach Russland offenhalten. Österreich ist ein neutrales Land und sieht sich als Brückenbauer zwischen Ost und West."
SPÖ und Neos üben Kritik
In Österreich übten SPÖ und NEOS Kritik am Verhalten der Bundesregierung. Es brauche ein einheitliches Vorgehen, betonte die NEOS-Europaabgeordnete Angelika Mlinar, die Österreichs Position als "wackelig" kritisierte. Österreich müsse "kohärenter" agieren, forderte SPÖ-Klubobmann Andreas Schieder. Alma Zadic von der Liste Pilz pochte hingegen auf eine volle Aufklärung des Vorfalls, bevor "entschieden wird, wie weiter vorgegangen wird". Der Russland-Experte Gerhard Mangott äußerte Verständnis für die Position der schwarz-blauen Bundesregierung, kritisierte aber das Argument der Neutralität als ein "unglückliches".
In den Diskussionen meldete sich mehrmals auch der Pressesprecher des Bundeskanzlers, Etienne Berchtold, zu Wort. Er wies darauf hin, dass auch andere Staaten wie Portugal, Luxemburg oder Griechenland sich nicht an der Ausweisung der russischen Diplomaten beteiligt hätten. Anders als Frankreich nach den Terroranschlägen im Jahr 2015 habe Großbritannien bisher nicht die EU-Solidaritätsmechanismen aktiviert, replizierte Berchtold auf den Hinweis von Bildt, dass Österreich nach Artikel 42.7 des EU-Vertrags die Verpflichtung habe, angegriffenen EU-Staaten Beistand zu leisten.