Es ist das erste Mal, dass neben dem vielen Licht auch Schatten fällt auf den jungen Spitzenkandidaten der ÖVP, Sebastian Kurz. (Noch) nicht in seiner Funktion als Spitzenkandidat - die aktuelle Diskussion bringt ihm vermutlich sogar neue Sympathien.
(Noch) nicht in seiner Funktion als Außenminister - obwohl die jüngste Diskussion auch sein Image im ihm bisher äußerst wohlgesonnenen Deutschland ramponieren könnte
Aber und vor allem als Integrationsminister. Und zwar sowohl auf seiner bisherigen Vorgangsweise in Bezug auf die Aslan-Studie als auch in Hinblick auf das von ihm gesteuerte Wirken seiner Vertrauten in seinem Umfeld.
Die "Falter"-Geschichte mit dem schönen Titel "Frisiersalon Kurz" beleuchtet den Hergang von Anfang an:
Wie Sebastian Kurz im Dezember 2015, zwei Wochen nach den verheerenden Anschlägen von Paris, Journalisten mit der Information fütterte, der Wiener Islamwissenschaftler Ednan Aslan liefere in Kürze eine Studie über extremistische Koranschulen in Wien und "massive Fehlentwicklungen" in Krippen und Kindergärten. Der "Kronenzeitung" steckte sein Pressesprecher ein 32-seitiges Papier zu, das einzelne Kindergärten als salafistisch outete, aber noch keinerlei wissenschaftlich fundierte Belege dafür lieferte. Der "Falter" zitiert Aslan mit der Feststellung, er habe nicht damit gerechnet, dass dieses "Ministerbriefing" öffentlich werde.
Wie die Beamten der Integrationsabteilung die 36.000 Euro teure fertige Studie Ende Jänner 2016 erhielten und laut "Falter" zu ihren Erstaunen feststellten, dass das Papier wissenschaftlich äußerst dünn war und Aslan inzwischen zurückgerudert war und wesentlich differenzierter argumentierte.
Wie schließlich das anhob, was jetzt im Mittelpunkt des Interesses steht, das große Umschreiben nämlich, das "Scharfmachen und Zuspitzen", wie es die Wiener Stadtzeitung formuliert. Wie Beamte insgesamt 903 Änderungen an dem Papier vornahmen. Viele harmlose Korrekturen, aber auch ganz massive inhaltliche Veränderungen, die die ursprünglichen, gemäßigten Aussagen Aslans in ihr islamfeindliches Gegenteil verkehrten.
Und die das Papier "einsebastianisierten", die Formulierungen des Studienautors also anpassten an jene Worte, die der Integrationsminister gegenüber der Presse immer wieder verwendete. Der Falter schreibt: "Immer wieder kürzen die Beamten also ausgerechnet jene Passagen, die das Gesamtbild der Islamkindergärten ambivalent darstellen. Und immer wieder werden Sätze eingefügt, die die Lage dramatisieren. Der Salon Kurz glättet und toupiert."
Und wie Aslan zunächst, vom "Falter" mit dem Word-File konfrontiert, erklärte, nichts davon gewusst zu haben, dass in die Studie so massiv eingegriffen worden war, und jetzt plötzlich doch alles selbst verfasst haben will, was wiederum die Uni Wien auf den Plan rief, um die Wissenschaftlichkeit des Wissenschaftlers zu hinterfragen.
Hat Integrations-Sektionschef Stefan Steiner von Eingriffen gewusst? Er ist jetzt einer der engsten Kurz-Berater in der "Neuen ÖVP". Was den jungen Integrationsminister plötzlich so alt aussehen lässt, ist, dass die Affäre den Scheinwerfer darauf wirft, wie er umgeht mit einer Materie, in der er tatsächlich gefordert wäre, zu handeln.
Es geht ihm und seinen jungen MitarbeiterInnen mehr um die Inszenierung als um das Tatsachensubstrat.
Es geht ihm und seinen jungen MitarbeiterInnen mehr um plakative Signale als um differenzierte Botschaften.
Und es geht ihm und seinen jungen MitarbeiterInnen mehr um das Ausmachen von Feindbildern als um das Bemühen, Misstände tatsächlich abzuschaffen.
Das mag ihm und der "Neuen ÖVP" zielführend erscheinen, wenn sie jetzt in den Wahlkampf zieht.
Es passt nicht zum Bild, das man sich von einem "Integrations"-Minister macht.
Und es belegt, wie penibel sein Weg zum Erfolg von ihm und seinem Umfeld gepflastert wird, wie bedeutsam es für seinen Mistreiter ist, dass jedes Mosaiksteinchen passt. Dazu passt auch eine Geschichte der "Presse" von März dieses Jahres, wonach sich - noch vor der Ausrufung von Neuwahlen - massiv Kritik daran regte, dass der Minister den Integrationsfonds (ÖIF) zum tiefschwarz unterwanderten Machtapparat ausbaute, nachdem dieser vom Innen- in sein Außenministerium gewandert war.
Einige Bundesländer, unter anderem die Steiermark, und Institutionen kritisierten, dass dem ÖIF durch das Integrationspaket mit der Verpflichtung von Sprach- und Wertekursen eine Monopolstellung zufällt. Das Institut würde den Markt kontrollieren und regulieren, trete aber gleichzeitig als Mitbewerber auf. "Der ÖIF nimmt mehrere Rollen ein, die nicht miteinander kombinierbar sind." Das Ministerium und der Integrationsfonds wiesen die Vorwürfe zurück.
Der ÖIF sei seit der Flüchtlingskrise im Jahr 2015 verstärkt für das Organisieren von Sprach- und vor allem Wertekursen herangezogen worden, schreibt die "Presse": "2016 erhielt das Außen- und Integrationsministerium 25 Millionen Euro aus einem Sonder-Fördertopf der Regierung für die Integration der Flüchtlinge. Das Geld wurde dem ÖIF zur Verfügung gestellt, größtenteils zur Förderung von Deutschkursen." Im Gegensatz zu anderen Anbietern sei dem ÖIF dafür auch eine "Abwicklungspauschale" in Höhe von 805.000 Euro zugestanden worden. Für "Oeverheadkosten", hieß es im Integrationsministerium. "Für Propagandazwecke", behaupten politische Gegner, vornehmlich aus den Reihen der SPÖ.
Die Wortwahl der Themen auf der Startseite des Integrationsfonds stimmt auffallend überein mit den Kurz'schen Statements und Presseaussendungen: "Italien: Steigende Migrantenzahlen über die Mittelmeerroute", "Deutschland: Klage gegen Kopftuchverbot gescheitert" und "Europäische Bürgerinitiative: Schutz vor Extremismus" lauten die Schlagzeilen.
Islamistische Tendenzen sind ein Problem. Fehlverhalten, von welcher Seite auch immer, muss offen angesprochen, Misstände dürfen und müssen abgestellt werden. Die Frage, wie viele Zuwanderer Österreich aushält, darf gestellt und beantwortet werden.
Aber Integrations-Botschaften, die Menschen aus anderen Kulturen hineinziehen in unsere Gesellschaft und innerhalb unserer Gesellschaft die Köpfe öffnen für das Andere, sehen anders aus. Solche Botschaften vermisst man bei Integrationsminister Sebastian Kurz.
Claudia Gigler