Billigfluglinien wie die Ryanair stellen Piloten nicht mehr an, ...
Roman Hebenstreit: … nicht nur die Ryanair …
..., die Piloten werden nur noch bezahlt, wenn sie fliegen, nicht, wenn sie krank sind. Ist die Gewerkschaft da machtlos?
Hebenstreit: In Deutschland wird seit Jahren dagegen ermittelt, aber das Phänomen haben wir überall, auch in Österreich. Wir erleben eine gezielte Überwälzung des „Arbeitgeberrisikos“ auf die Arbeitnehmer. In der alten Denke hatte man den Menschen, der seine Lebens- und Arbeitszeit verkaufte, und die Unternehmensseite trug Investitions- und Auslastungsrisiko. Heute haben wir die „Flexibilisierung“: Das Risiko der Auslastung wird auf die Arbeitnehmer übertragen. Wenn man das will, soll man das sagen, dann müssen wir aber auch über die Verteilung der Gewinne reden.
Wo sehen Sie das noch?
Hebenstreit: Bei den Wachdiensten, bei den Lkw-Fahrern, in Deutschland sogar bei den Lokführern, bei den Kellnern. Und wir haben es bei den Friseuren, die den Friseurstuhl vermieten, die Beschäftigten aber nicht mehr anstellen. Volles Risiko, aber totale Abhängigkeit.
Braucht es da mehr Kontrolle?
Hebenstreit: In diesem Zusammenhang ist die „Waxing“-Posse in Wien spannend. Frau Wagner hat gedroht, alle Angestellten zu Selbstständigen zu machen. Sie kann Beschäftigte nicht zu Selbstständigen „machen“, dafür gibt es klare Kriterien: eigene organisatorische Einheit, freie Arbeitseinteilung, Abhängigkeit von mehreren Auftraggebern, Besitz der Betriebsmittel etc. Aber es braucht eben Kontrollen.
Was braucht es noch?
Hebenstreit: Zum Beispiel ein Dienstleistungsgesetz. Nehmen wir die Bewachung von Justizanstalten. Da bedarf es genauer gesetzlicher Bestimmungen, was ausgelagert werden, unter welchen Bedingungen das Leasingpersonal arbeiten darf, wie die Menschen qualifiziert sein müssen, etc. Auch im Gesundheitswesen, in der Pflege wollen wir alle eine bestimmte Qualität. Ganz aktuell: Gerade ging die Begutachtungsfrist für das Vergaberecht zu Ende. Da gibt es eine breite Front der Länder gegen das Bestbieterprinzip, weil sie billigere Leistungen haben wollen.
Auch SPÖ-geführte Länder?
Hebenstreit: Ja. Alle politisch Verantwortlichen behaupten, die Leute in den Regionen halten zu wollen. Die ablehnende Haltung zu einem ehrlichen Bestbieterprinzip zeigt, das Gegenteil ist der Fall. Wir haben ein Volumen von rund 40 Milliarden öffentlicher Aufträge, vom Kugelschreiber bis zur Verkehrsdienstleistung. Mit dem Bestbieterprinzip könnte man Kriterien vorgeben, die die Jobs in der Region halten, Lehrstellen schaffen, Frauen fördern. Getrieben vom Irrsinn, überall noch ein paar Cent einsparen zu müssen, stellt man sich dagegen.
Warum sieht die Politik nicht, was Sie sehen?
Hebenstreit: Über das Billigstbieterprinzip im Bussektor zum Beispiel mache ich in ganz Österreich ältere Busfahrer zu Arbeitslosen. Warum? Weil im Billigstbieterregime nur der, der die billigsten Leute hat und diese am besten knechtet, den Auftrag erhält. Damit fallen Betriebe mit älteren Beschäftigten automatisch raus. Die dann Arbeitslosen sind den Ländern finanziell aber wurscht, die zahlt eh der Bund. 50.000 Arbeitslose über 55 Jahre haben wir momentan. Das Vergaberecht wäre mit Sicherheit ein wirksamer Hebel, hier gegenzusteuern.
Die Sozialpartner sollen den Weg für den 12-Stunden-Tag ebnen. Sollen sie?
Hebenstreit: Das ist der Plan A von Christian Kern. Ich habe nie ein Hehl daraus gemacht, dass ich von einer Öffnung auf 12 Stunden, 60 Stunden pro Woche, nichts halte, inklusive der Idee, einen zweijährigen Durchrechnungszeitraum zu fixieren. Da hast du keine Überstunden mehr, da gleichen sich alle Auftragsdellen und -spitzen aus.
Was spricht dagegen?
Hebenstreit: Ich komme aus den ÖBB, also einem Bereich, in dem 12 Stunden Arbeit normal sind. Allerdings unter bestimmten Bedingungen. Allein in der Gewerkschaft vida haben wir 170 Kollektivverträge, da sind alle Varianten der Flexibilisierung dabei, Durchrechnungen, Schichtmodelle, Gleitzeit. Aber das hat immer einen Preis: geblockte Freizeit, bezahlte Arbeitsunterbrechungen, Änderungszuschläge, Zeitzuschläge in der Nacht etc.
Ist es nicht schwierig, das für alle gleich zu regeln?
Das ist genau unsere Kritik.
Hebenstreit: Es geht also nur über die Kollektivverträge?
So ist es. Und es muss ein „Gegenverkehr“ stattfinden. Es kann nicht sein, dass man womöglich nicht einmal leben kann von der Arbeit, und gleichzeitig sein Leben nicht mehr organisieren kann. 12 Stunden arbeiten und dann das Doppelte in die Kinderbetreuung stecken? Das spielt es mit uns sicher nicht!
Was treibt die Regierung?
Hebenstreit: Das müssen Sie die Regierung fragen. Fakt ist, wenn du heute in eine Firma gehst und sagst, du willst kurzfristig etwas haben, dann zahlst du mehr, weil es mit mehr Aufwand verbunden ist. Das ist bei den Arbeitnehmern nicht anders, die müssen kurzfristig ihr Leben anders organisieren. Das kostet Geld, und das will man ihnen jetzt nicht mehr abgelten. Man will schlicht die Überstundenzuschläge weghaben. Das sagt aber keiner offen.
Ist für Sie die 36-Stunden-Woche realistisch?
Hebenstreit: Was mich ärgert: Wir haben Reflexreaktionen auf beiden Seiten, Dogmen. Der eine redet von zwölf Stunden, der andere von der 36-Stunden-Woche. Der eine redet von Flexibilisierung, der andere redet von der 6. Urlaubswoche. Und so weiter. Und alle sagen Nein. Solange es keine Versachlichung der Diskussion gibt, ist es schwer. Ich gebe schon zu: da treiben wir uns auch gegenseitig. Aber in den Verhandlungen selber versuchen wir das lösungsorientierter anzugehen. Spannender weise ist es so, dass die IV die stärkste Gegenposition einnimmt, die aber gar kein Sozialpartner ist! Die hat eigentlich am Tisch nichts verloren. Das will nur keiner sagen. Die Wirtschaftsverbände, die Fachverbände, vor allem die Unternehmer in den Fachverbänden sind viel konstruktiver. Die merken immer mehr: Sie sind verdammt dazu, attraktive Arbeitgeber zu sein. Weil die Generation, die da kommt, das einfordert.
Können Sie ein Beispiel nennen?
Hebenstreit: Nehmen Sie die Tourismusbranche, den einzigen Bereich, der seit 70 Jahren wächst. Ich habe den Arbeitgebervertretern gesagt: Wenn ihr einen Dreck zahlt, Saisonbeschäftigung habt, an den Tagesrandzeiten arbeiten lasst, Teilzeitbeschäftigung forciert, werdet ihr keine Leute kriegen. Bei den ÖBB, woher ich komme, haben wir Doppel-Lehrberufe, auf die Branche zugeschnitten, geschaffen und bieten ihnen die Möglichkeit, berufsbegleitend Matura zu machen. Diese Lehrlinge reißen sie uns aus den Händen, die sind topqualifiziert. 40 Prozent der ÖBB-Lehrlinge machen nebenbei die Matura. Natürlich treten uns die Eltern die Türe ein, die gerne hätten, dass ihr Kind bei uns lernt. Du musst einen Sog erzeugen, ein positives Image.
Noch einmal zurück zur gewünschten Flexibilisierung: Kann man es sich erlauben, gleichzeitig das Kontrollorgan, das Arbeitsinspektorat, zu schwächen, wie das offenbar geplant ist?
Hebenstreit: Nein, definitiv nicht. Wir brauchen restriktive Kontrollen, und viel schärfere Strafen. Ich bin sofort dabei, wenn wir sagen, wir vereinfachen die Bestimmungen im Arbeitnehmerschutz. Ein Großteil der Komplexität resultiert ja aus den Sonderwünschen der Unternehmen. Weil Hinz und Kunz über Jahrzehnte beim Gesetzgeber angeklopft und gesagt haben, ich brauche eine Ausnahmebestimmung, ich habe einen Sonderfall. Der Arbeitsinspektor, der nur die Gesetze, die das Parlament, also auch die ÖVP mit dem Wirtschaftsressort, gemacht hat, überprüft, soll das jetzt ausbaden. Vereinfachen wir die Regeln, gerne, aber verstärken wir dann auch die Beratung, die Kontrollen und vor allem die Strafen.
Wo sind die 1500 Euro Mindestlohn nicht zu schaffen?
Hebenstreit: Es geht überall. Es ist nur eine Frage des Willens.
Wo ist es am schwierigsten?
Hebenstreit: Im Taxigewerbe zum Beispiel, da ist meine Geduld bald am Ende. Da stehen wir bei rund 1200 Euro. Der Friseurbereich war auch extrem schwierig, wenig Gewerkschaftsmitglieder, und kleinteilig. Wir haben durchgerechnet, was es kostet, wenn wir von 1344 auf 1500 Euro gehen, ein Euro pro Haarschnitt! Da soll mir einer sagen, dass das nicht leistbar ist! Am Ende haben wir uns geeinigt. Damit bekommt eine Friseurin wenigstens so viel, dass sie netto 40 Euro über der Armutsgrenze liegt. Es darf keinen Job geben, wo ich 40 Stunden arbeite und davon nicht leben kann!
Claudia Gigler