Die 24-Stunden-Pflege ist die vorletzte Station im Leben eines pflegebedürftigen Menschen, der sich nicht mehr selber versorgen kann. Die letzte ist das Heim. Für viele sind die Pflegerinnen aus Ungarn, der Slowakei oder Rumänien der Rettungsanker, der sie im "normalen" leben hält.

Es geht um Alte und Kranke, aber auch um behinderte Menschen. Vor allem auch um Behinderte im Alter. Wenn es keine Eltern mehr gibt, die sich um ihr pflegebedürftiges Kind kümmern. Oder um Demente - de facto Menschen mit Behinderung, die aber nicht als Behinderte zählen und die entsprechenden Unterstützungsmaßnahmen nicht in Anspruch nehmen können.

Es ist ein Anachronomismus, dass die Altenbetreuung und die Behindertenbetreuung immer noch durch zwei getrennte Systeme geregelt werden, wie jüngst auch bei einer Tagung der Lebenshilfe in Graz zum Thema Inklusion festgestellt wurde. Wo es keine leistbare und passgenaue mobile Unterstützung gibt, ist oft die 24-Stunden-Pflege der Rettungsanker.

24-Stunden-Pflege bieten auch inländische Unternehmen an, wenngleich oft mit ausländischen Beschäftigten. Für viele sind diese Angebote allerdings nicht leistbar - oder mit dem Verlust des Vermögens verbunden. Trotz Pflegegeld und Fördermöglichkeiten. In die Bresche springen "selbständige" Pflegekräfte aus dem Ausland, vermittelt  oft durch ausländische Agenturen.

Die Grüne Sozialsprecherin Judith Schwentner macht sich seit längerem zur Fürsprecherin dieser "Selbständigen", die selbst oft in die totale Abhängigkeit geraten.

Am Beispiel der Slowakei: Arbeitsplätze gibt es für die betroffenen Frauen meist kein, oft nicht einmal für die Männer. Nicht selten sind die Pflegerinnen, die einen Job im Ausland annehmen,  die Erhalterinnen der gesamten Familie.

Knebelverträge

Eine Agentur vermittelt sie, gegen entsprechende Gebühr, die ihnen in den ersten Monaten nur wenig übrig lässt vom verdienten Geld. Oft sind es Knebelverträge. Bei einer Kündigung droht eine Schadenersatzforderung, für bis zu ein Jahr danach dürfen sie keine andere Beschäftigung in diesem Bereich annehmen.

Für die Fahrt nach Österreich dürfen sie oft nur bestimmte Taxidienste in Anspruch nehmen (an denen auch wieder die Agentur in der Slowakei verdient). Offiziell haben alle vermittelten Personen eine Pflegeausbildung. Jeder weiß, dass die in vielen Fällen nur wenige Tage dauert. Auch die angeblich vorhandenen Deutschkenntnissen beschränken sich oft nur auf wenige Worte.

Hier angekommen, sehen sich die  Pflegerinnen damit konfrontiert, dass sie vielfach Pflegeleistungen erbringen sollen, die sie überfordern. Eine Supervision gibt es für die "selbständigen" Arbeitskräfte nicht.

Die wichtigste Person im Leben

Viele Pflegerinnen leisten angesichts all dieser Rahmenbedingungen geradezu Übermenschliches, werden zur wichtigsten Person im Leben der Pflegebedürftigen. Sie nehmen alle Agenden wahr, die diese Personen selbst nicht mehr erledigen können - vom Haushalt über Erledigungen, den Einkauf, die Körperpflege bis hin zur medizinischen Betreuung.

Ihre eigene Familie sehen sie alle zwei oder drei Wochen. Viele haben Kinder, die in der Zwischenzeit von der Großmutter oder vom Vater betreut werden. Der Verdienst der Mutter sichert ihre Ausbildung und das Haus oder die Wohnung.

Judith Schwentner trat mit  Katarína Staroňová an die Öffentlichkeit.

Der Kurier berichtete: "Sie war 33 Jahre alt, konnte kaum ein Wort Deutsch und hatte nur einen einmonatigen Pflegekurs absolviert, als sie als Betreuerin zu einer 98-jährigen, demenzkranken Wienerin ins Haus kam: 24 Stunden, sieben Tage die Woche in Isolation, Freunde und Familie weit weg in der Slowakei.

'Es war unglaublich schwierig, weil ich nicht wusste, wie ich mit der Krankheit der Frau umgehen soll. Sie schrie die ganze Nacht, an Schlaf war nicht zu denken. Und untertags musste ich kochen, putzen und mich mit ihr beschäftigen', erzählt sie. 'Meine einzige Rückzugsmöglichkeit war, wenn ich auf den Stufen vor dem Haus gesessen bin und geweint habe.'

Gütesiegel gefordert

Vor zwei Jahren ist sie nach Wien übersiedelt und hat einen Verein gegründet, um Frauen, die in einer ähnlichen Situation sind, zu unterstützen. "Wir gehen mit ihnen den Vertrag durch und tauschen uns über die Arbeit aus", erklärt sie. Gegen unfaire Arbeitsbedingungen werde aber kaum gerichtlich geklagt – und einen Kontrollmechanismus gibt es nicht."

Den möchten die Grünen gesetzlich verankern, berichtete der Kurier. Sozialsprecherin Judith Schwentner könne sich eine Art "Gütesiegel" für Agenturen vorstellen. Derzeit sei die Vermittlung ein freies Gewerbe.

Die Branche boome: "Seit 2007 ist die 24-Stunden-Betreuung erlaubt und wird gefördert. Aktuell sind 421 Agenturen und 78.000 Frauen als Betreuerinnen (nur ein Teil davon aktiv) registriert. 21.900 Personen haben 2015 eine Förderung in Anspruch genommen, für Bund und Länder waren das Kosten von 138,6 Millionen Euro. 'Es geht hier um Steuergeld', betont Schwentner, und fordert deshalb: "Das Sozialamt sollte sich beim Förderantrag den Vermittlungsvertrag und ein Zertifikat der Agentur vorlegen lassen.'"

Ombudsstelle

Zusätzlich hält Schwentner im Gespräch mit dem Kurier eine Ombudsstelle für sinnvoll, an die sich Angehörige und Betreuerinnen wenden können. Laut Staroňová brauche es auch ein höheres Ausbildungsniveau. Aus eigener Erfahrung wisse sie, dass der Job meist auch anspruchsvolle Pflegetätigkeiten umfasst – und viele Kolleginnen damit überfordert seien. Die 38-Jährige macht derzeit eine Ausbildung zur Diplomkrankenpflegerin.

Durch die Qualitätsverbesserung würde die 24-Stunden-Betreuung wohl teurer werden, so der Kurier. Sozialsprecherin Schwentner hält ein Reglement aber für dringend notwendig: "Wir müssen etwas tun, weil die Bevölkerung immer älter und der Bedarf immer größer wird."

Die Kosten variierten derzeit stark je nach Anbietern. Im Durchschnitt sind es – abzüglich Pflegegeld und Förderung – rund 1000 Euro pro Monat. Die Betreuerin bekomme für einen zweiwöchigen Turnus ein Honorar von 600 bis 1000 Euro.

Der RH prüft

Angesichts einer neu aufgeflammten Diskussion über Missstände in der 24-Stunden-Pflege hat das Sozialministerium am Donnerstag eine weitere Verbesserung der Qualität in Aussicht gestellt. Dabei will des Ressort von Minister Alois Stöger (SPÖ) die Ergebnisse der derzeit laufenden Prüfung des Rechnungshofes berücksichtigen.

Der RH-Bericht soll zur Jahresmitte vorliegen. Diesen wolle man abwarten und dann die Ergebnisse genau prüfen und als Basis für weitere Verbesserungen heranziehen, hieß es am Donnerstagnachmittag im Büro Stögers gegenüber der APA. Das soll dann gemeinsam mit dem Koalitionspartner, konkret mit dem für das Gewerbe zuständigen Wirtschaftsminister Reinhold Mitterlehner (ÖVP), umgesetzt werden.

Gute Qualität, aber auch schwarze Schafe

Das Sozialministerium verweist aber darauf, dass jetzt schon tausende Hausbesuche zur Qualitätskontrolle durchgeführt werden. Im Vorjahr wurden vom Ressort 4.950 Hausbesuche bei rund 23.500 zu Betreuenden organisiert. Dabei habe sich herausgestellt, dass grundsätzlich eine sehr hohe Qualität und auch hohe Zufriedenheit bei zu Betreuenden und Angehörigen vorhanden sei. Aber es gebe auch schwarze Schafe bei den Vermittlungsagenturen, gestand das Stöger-Büro zu. Schon Ende 2015 wurden im Zuge der Trennung des Gewerbes der Personenbetreuung von der Vermittlung auch Verbesserungen bei der Qualität der Verträge (Aufklärungspflichten, Transparenz etc.) vorgenommen.

Neue Jobs

Im Rahmen der geplanten Aktion 20.000 zur Beschäftigung älterer Arbeitslosern denkt Stöger auch darüber nach, in Kooperation mit Anbietern von Pflege- und Betreuungsdiensten und den regionalen Entscheidungsträgern leistbare mehrstündige Alltagsbegleitungen zu etablieren. Dabei soll es sich nicht um Betreuung oder Pflege als solche handeln. Denkbar wären etwa gemeinsame Spaziergänge, Kartenspielen oder Gespräche als Lückenschluss zwischen einstündiger und 24-Stunden-Betreuung. Damit könnten Angehörige ebenfalls nachhaltig entlastet werden. Das Sozialministerium betont aber, dass dazu noch Gespräche notwendig seien.

Neben den Grünen hat am Donnerstag auch Volksanwalt Günther Kräuter (SPÖ) für mehr Kontrolle und eine neue gesetzliche Regelung plädiert. Martin Gleitsmann, der Leiter der Sozialpolitischen Abteilung der Wirtschaftskammer, sieht dafür hingegen keine Notwendigkeit und verweist darauf, dass es bereits klare gesetzliche Spielregeln bei der Vermittlung der Betreuerinnen gebe.