Die türkis-grüne Koalition steht nach der Zustimmung der Grünen zum Renaturierungsgesetz auf EU-Ebene auf Messers Schneide. In der ÖVP ist man höchst verärgert über den Alleingang der Grünen und kündigte rechtliche Schritte gegen den Koalitionspartner an. Kanzler Karl Nehammer (ÖVP) äußerte sich am Abend zur innenpolitischen Lage in Österreich. Er übte scharfe Kritik an Ministerin Gewessler, das Ende der türkis-grünen Koalition schloss er jedoch aus. „Die Emotion wäre da“ für ein Koalitionsende, aber er habe „die Verantwortung als Bundeskanzler, für einen geordneten Weg“ bis zur Nationalratswahl zu sorgen, sagte Nehammer vor Journalisten. Das freie Spiel der Kräfte würde sowohl Chaos als auch teure Ausgaben bedeuten.

Der Bundeskanzler sprach von einem „mehr als schweren Vertrauensbruch“ und einem „krassen Fehlverhalten“ des grünen Koalitionspartners, der „sein wahres Gesicht gezeigt“ habe. Dieser Rechtsbruch werde mit der angekündigten Nichtigkeitsklage gegen den EU-Beschluss vor dem EuGH und der Anzeige gegen Gewessler wegen Amtsmissbrauchs geahndet.

Greenpeace kritisierte die Reaktion von Nehammer scharf. Die Angriffe des Kanzlers seien ein „Armutszeugnis“. „Die Menschen in Österreich wollen dieses Gesetz. Die ÖVP steht auf der falschen Seite der Geschichte“, so Greenpeace-Sprecherin Lisa Panhuber in einer Aussendung.

Scharfe Kritik kam auch von der FPÖ: „ÖVP-Kanzler Nehammer lässt sich von den Grünen am Nasenring durch die Manege ziehen“, ließ Parteichef Herbert Kickl in einer Aussendung wissen. Die FPÖ werde im Nationalrat einen Misstrauensantrag gegen Ministerin Gewessler einbringen, der für die ÖVP zur Nagelprobe werde.

Kogler: „Wir haben es uns nicht leicht gemacht“

In seinem Statement betonte Vizekanzler Werner Kogler, der Rat der Umweltminister habe eine sehr wichtige Naturschutzentscheidung getroffen. Es sei ein Sieg für die Natur, nicht für Ideologien oder Parteipolitik. „Wir haben es uns nicht leicht gemacht. Wir haben alle Schritte mit rechtlichen Gutachten untermauert“, so Kogler. Eine intakte Natur sei eine Frage der Verantwortung. „Wir sind dafür gewählt, das Klima, die Umwelt und die Natur zu schützen, das ist unser Job“, erklärte Kogler weiter. Extremwettereignisse würden zunehmen. Da liege es doch auf der Hand, wenigstens Hochwasserschutz zu betreiben. Die Menschen hätten kein Verständnis für Maßnahmen, die das blockieren, so Kogler.

Es habe schon oft schwierige Momente in der Koalition gegeben, aber „wir haben uns immer wieder zusammengerauft“. Wir haben als Koalition noch viel zu tun – jetzt sei es an der Zeit zu „hackeln“ – für Menschen, „die auch noch morgen und übermorgen hier leben werden“, betonte Kogler.

Edtstadler: „Niemand steht über dem Recht“

Der Koalitionszank um das EU-Renaturierungsgesetz schwelt schon länger – seit Wochen war man sich uneinig, inwiefern die Grünen-Klimaschutzministerin Leonore Gewessler Einvernehmen mit den Bundesländern und dem Landwirtschaftsministerium herstellen müsste. Spätestens seit die Wiener Landesregierung vergangene Woche ihren Meinungsumschwung und damit die Zustimmung zum Renaturierungsgesetz formell bekräftigt hat, hat sich eigentlich abgezeichnet, dass Gewessler Ernst machen wird. Am Sonntag kündigte Gewessler schließlich in einer kurzfristig einberufenen Pressekonferenz an, am Montag beim Treffen der EU-Umweltministerinnen und -minister in Luxemburg für das EU-Renaturierungsgesetz zu stimmen – was sie dann auch tat.

Gewessler hat mit ihrem Ja eine veritable Koalitionskrise ausgelöst. „Österreich wird Nichtigkeitsklage beim EuGH einbringen“, teilte die Sprecherin von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) der APA nach der Abstimmung mit. „Das Votum von Bundesministerin Gewessler entspricht nicht dem innerstaatlichen Willen und konnte daher nicht verfassungskonform abgegeben werden.“ Diese Entscheidung gelte es dann abzuwarten. „Wir gehen davon aus, dass der EuGH so rechtzeitig entscheiden wird, dass eine Vorlage von nationalen Wiederherstellungsplänen vorab nicht notwendig sein wird und damit die nicht notwendige Überregulierung unwirksam bleibt.“ Klimaschutz sei ein wichtiges Anliegen und die Bundesregierung habe in vielen Bereichen wesentliche Maßnahmen gesetzt, hieß es in der Stellungnahme. „Klar ist aber auch: Die Verfassung gilt auch für Klimaschützer. Niemand steht über dem Recht.“ Formal einbringen wird die Klage laut Kanzleramt Verfassungsministerin Karoline Edtstadler (ÖVP).

Koalition in schweren Turbulenzen

Zusätzlich hat ÖVP-Generalsekretär Christian Stocker erklärt, gegen Gewessler eine Strafanzeige wegen Amtsmissbrauchs einzubringen: „Es besteht der Verdacht, dass Leonore Gewessler mit ihrer Zustimmung rechtswidrig und wissentlich gegen die klaren Vorgaben des Verfassungsdienstes und gegen die Verfassung handelt – dies begründet Amtsmissbrauch. Es kann nicht angehen, dass sich Umweltministerin Gewessler mit Privatgutachten über den Verfassungsdienst hinwegsetzt und dadurch die gesetzlichen Bestimmungen missachtet. Es ist daher eine gerichtliche Klärung notwendig – die Volkspartei wird den Sachverhalt an die Gerichte in Form einer Strafanzeige herantragen.“

Damit ist weiter offen, was diese Krise für den Fortbestand der türkis-grünen Koalition bis zum kürzlich fixierten Wahltag am 29. September bedeutet. Theoretisch könnte die ÖVP auch per Mehrheitsbeschluss des Nationalrats eine Ministeranklage vor dem Verfassungsgerichtshof oder einen Misstrauensantrag herbeiführen. Jeweils wäre dies allerdings nur mit den Stimmen der FPÖ möglich, wofür die ÖVP ihr Versprechen „nicht mit der FPÖ unter Herbert Kickl“ schwer beschädigen würde.

Gewessler: „Sieg für die Natur“

„Die heutige Entscheidung ist ein Sieg für die Natur“, sagte Gewessler unterdessen in einer ersten schriftlichen Reaktion nach der Abstimmung. „Heute senden wir aus Luxemburg (wo der EU-Umweltrat stattfinden; Anm.) ein Signal – so dürfen wir nicht weitermachen. Unsere Natur hat sich unseren Schutz verdient.“

„Mein Gewissen sagt mir unmissverständlich: wenn das gesunde und glückliche Leben künftiger Generationen am Spiel steht, braucht es mutige Entscheidungen. Deshalb habe ich heute für dieses Naturschutzgesetz gestimmt“, hielt Gewessler weiter fest. Die Europäische Union stelle sich „geeint hinter den Schutz unserer Lebensgrundlage“. Das Renaturierungsgesetz sichere Zukunft: „Wir geben der wunderbaren Artenvielfalt in unserer Heimat den Platz, der ihr zusteht. Wo früher ein lebendiger Bach war, ist heute ein betonierter Kanal. Wo früher eine wilde Blumenwiese war, finden wir heute nur mehr eine Betonwüste.“

Kogler gibt Rückendeckung

Rückendeckung erhielt Gewessler von ihrem Parteikollegen und Vizekanzler Werner Kogler. „Es ist ein historisches Ja zum aktuell weltweit wichtigsten Naturschutzvorhaben“, teilte er per Aussendung mit. „Ich danke Leonore Gewessler und dem grünen Team für die Zielstrebigkeit, die Entschlossenheit und den entscheidenden Schritt, der heute gegangen wurde.“

In einem Brief an die belgische Regierung bedauerte Kogler zudem, dass die EU nun in österreichische innenpolitische Streitigkeiten verwickelt wurde. Die in einem Schreiben des österreichischen Bundeskanzlers erhobenen Vorwürfe seien aber „falsch und spiegeln nicht die österreichische Rechtslage wider“. Der Bundeskanzler habe kein Weisungsrecht gegenüber den österreichischen Vertretern im Umweltministerrat.

Reaktionen auf das Gewessler-„Ja“

SPÖ-Chef Andreas Babler sieht durch den eskalierten Streit zwischen ÖVP und Grünen eine „besorgniserregende Regierungskrise“ und zudem eine „bittere Stunde für die internationale Reputation Österreichs“, wobei hier vor allem durch das Verhalten von Bundeskanzler Karl Nehammer (ÖVP) „ein riesiger Schaden“ entstehe. Die ÖVP sei nicht mehr handlungsfähig, interpretierte der Parteivorsitzende am Montag am Rande einer Pressekonferenz etwa die seitens der Volkspartei angekündigte Anzeige gegen Gewessler wegen Amtsmissbrauchs. Abgesehen davon zeigte sich Babler „froh“ darüber, dass Österreich dem EU-Renaturierungsgesetz zugestimmt hat.

Ähnlich auch die Neos: Klima- und Umweltsprecher Michael Bernhard begrüßte in einer Aussendung die Zustimmung zur Renaturierung. Aber: So positiv das Ergebnis aus Sicht des Klima- und Umweltschutzes sei, so verheerend präsentiere sich die Regierung den Bürgerinnen und Bürgern. „Das Klima in der Koalition ist eine Katastrophe, die nicht mehr abzuwenden ist.“

FPÖ-Chef Herbert Kickl forderte Nehammer auf, Gewessler dem Bundespräsidenten umgehend zur sofortigen Entlassung vorzuschlagen. Sollte der Bundeskanzler dieser Forderung nicht nachkommen, werde die FPÖ jedenfalls einen Misstrauensantrag im Nationalrat stellen, kündigte Kickl an. Denn das EU-Renaturierungsgesetz bedeutet aus freiheitlicher Sicht „nichts anderes als den Tod unserer Landwirtschaft und der Versorgungssicherheit unserer Bevölkerung mit heimischen Lebensmitteln sowie einen inakzeptablen Souveränitätsverlust zugunsten der zentralistischen EU-Eliten“, so Kickl laut Aussendung.

Wiens Bürgermeister und Landeshauptmann Michael Ludwig (SPÖ) zeigte sich ebenfalls erfreut über den Schritt der Ministerin – äußerte aber zugleich Sorge um das Ansehen des Landes. „Es wäre natürlich besser, wenn die Bundesregierung in so einer wichtigen Frage an einem Strang zieht. Das Bild, welches die Bundesregierung heute abgegeben hat, schadet der Reputation Österreichs innerhalb der Europäischen Union“, befand er in einem Posting auf X. Ludwig hatte mit seinem Schwenk in Richtung Zustimmung zur Verordnung den Anlass für die Neubewertung der Länder-Stellungnahmen gegeben.

Der österreichische Bauernbund sprach hingegen von einem „beispiellosen Alleingang“. Gewessler habe „entgegen einer einheitlichen Stellungnahme der Bundesländer für das höchst umstrittene Renaturierungsgesetz gestimmt“. „Das beschlossene EU-Renaturierungsgesetz wird zu massiven Einschnitten und unverhältnismäßig negativen Auswirkungen für die Landwirtschaft führen. Aber auch die Konsumenten werden die Folgen deutlich spüren. 20 Prozent aller Flächen müssen laut dem Gesetz allein bis 2030 wiederhergestellt werden. Das bedeutet im Klartext: Ein Fünftel der Gesamtfläche Österreichs darf nicht mehr wie bisher genutzt werden“, so Bauernbund-Präsident Georg Strasser.

Auch die Landwirtschaftskammer Österreich kritisierte das Vorgehen. „Abgesehen davon, dass das Abstimmungsverhalten von Bundesministerin Gewessler laut Verfassungsdienst rechtswidrig ist, können wir das Gesetz auch aus fachlicher Sicht keinesfalls gutheißen“, betonte Präsident Josef Moosbrugger. „Umweltnutzen mehr als zweifelhaft, enorme Mehrbelastung für die Bäuerinnen und Bauern und noch dazu eine vollkommen ungeklärte Übernahme der Kosten von 154 Mrd. Euro, die laut EU-Kommissionsschätzung mindestens anfallen werden. Was gut klingt, ist nicht unbedingt gut“, so Moosbrugger.