Links der Mitte drängt es sich. Schon jetzt tummeln sich hier SPÖ, Grüne, KPÖ und teilweise auch die Neos, um die Stimmen für einen Erfolg bei der Nationalratswahl im Herbst zu gewinnen. Und als wäre das nicht schon genug, kommt nun noch Dominik Wlazny und dessen Bierpartei hinzu. Wie gliedert sich dieses Spektrum links der Mitte, wer konkurriert mit wem um welche Gruppen? Darüber hat die Kleine Zeitung mit Bertram Barth, Meinungsforscher und Co-Geschäftsführer von Integral, gesprochen.

Dazu muss man zunächst wissen, dass die Kategorien links und rechts, obwohl in Alltag allgegenwärtig, ausgedient haben. Stattdessen wird die Bevölkerung nach Einkommen, Bildung und Werten in Milieus eingeteilt. Zu den klassisch linken Milieus – in der Grafik gelb dargestellt, rechte Milieus sind blau – gelten: Postmaterialisten, die für Nachhaltigkeit und Diversität stehen, der Globalisierung und dem Kapitalismus aber kritisch gegenüberstehen; progressive Realisten, die als Treiber sozialer Veränderung gelten und gerne Protest mit Party verbinden; Hedonisten, die im Hier und Heute Spaß haben wollen und traditionelle Konventionen ablehnen. Die Vertreter des traditionellen Arbeitermilieus und der kleinbürgerlichen Welt, für die, weil im fortgeschrittenen Alter, Sicherheit und Ordnung im Vordergrund stehen, lassen sich hier nicht eindeutig zuordnen, weil sie bei Wahlen zwischen linken und rechten Parteien pendeln.

Sinus Milieus in Österreich | Einkommen, Bildung, Werte sagen mehr über die Wähler aus
Sinus Milieus in Österreich
| Einkommen, Bildung, Werte sagen mehr über die Wähler aus © KLZ / Integral

Feierwütige Postmaterialisten haben Durst auf Bierpartei

Die Wähler von Wlaznys Bierpartei, dem Umfragen seit Monaten gute Chancen auf einen Einzug in das Parlament einräumen, beschreibt Barth dementsprechend als lustige, radikale Postmaterialisten und kosmopolitische Lifestyle-Individualisten. Dabei handelt es sich oft um junge, besser gebildete Männer, die sich von Wlaznys ungewöhnlichem Auftreten angesprochen fühlen. Die Nachfrage nach einem neuen, ungewöhnlichen Angebot sei derzeit hoch, so Barth, und der Musiker und studierte Arzt bediene diese Lücke erfolgreich. Und auf wessen Kosten? „Zum größten Teil zulasten von SPÖ und Grünen, theoretisch aber auch der FPÖ“, ist Barth überzeugt. Ob dauerhaft bis zum Wahltag und darüber hinaus, bleibt ebenfalls abzuwarten.

Neben Wlazny gibt es mit der KPÖ einen weiteren neuen Hecht im bundesweiten linken Karpfenteich. Anders als das Ego-Projekt Bierpartei, wo Wlazny bis dato als Gründer, Parteichef und inhaltlich nebulöse One-Man-Show fungiert, spielt bei der KPÖ die Person des Spitzenkandidaten vorerst keine Rolle. Tatsächlich ist der 34-jährige Grazer Tobias Schweiger als Spitzenkandidat ein unbeschriebenes Blatt. Das ist kein kleiner Unterschied zu den Wahlen in Graz und Salzburg, wo sich alles um Bürgermeisterin Elke Kahr und Kay-Michael Dankl, der in Salzburg bis in die Stichwahl kam, drehte. Unterstützer hat die KPÖ vor allem im progressiv-realistischen Milieu, aber eben auch – siehe Graz und Salzburg – bei der konsumorientierten Basis der abgehängten Unterschicht.

Letztere sind eigentlich eine Domäne der FPÖ von Herbert Kickl, weshalb Barth hier für die Nationalratswahl mit einem Duell rechnet. Mit dem Wohnthema biete die KPÖ hier ein pragmatisches und aktuelles drängendes Angebot an diese Gruppe.

Marktforscher Bertram Barth | Marktforscher Bertram Barth, Integral-Geschäftsführer
Marktforscher Bertram Barth
| Marktforscher Bertram Barth, Integral-Geschäftsführer © Integral

Wer Babler mag, kann mit SPÖ oft wenig anfangen

Dabei ist SPÖ-Chef Andreas Babler eigentlich angetreten, um genau das abzuwenden: nämlich ein Ausrinnen seiner Partei nach links zu verhindern und durch einen linken Populismus der Kickl-FPÖ sogar noch ehemals rote Wählerinnen und Wähler wieder abspenstig zu machen. Tatsächlich habe Babler, so Barth, als Person bei den sozial abgehängten, aber kulturell eher traditionalistischen Wählern durchaus Erfolgschancen. Dem stehe jedoch die SPÖ als Partei entgegen, die in diesem Milieu ihre politische Glaubwürdigkeit eingebüßt habe. Trotzdem versucht die Partei hier zu punkten, etwa mit Forderungen nach einem Aussetzen der CO₂-Bepreisung. Doch damit drohe Babler die Gruppe der radikal Veränderungsbereiten und etablierten Intellektuellen zu verschrecken, die längst zu wichtigen Stimmenbringern für die SPÖ geworden sind.

Es ist ein Dilemma für Babler und die SPÖ, ihre gegensätzlichen Wählerpotenziale mit Themen zu verbinden, die für beide Seiten attraktiv sind.

Was die abgehängten Milieus der unteren Mittel- und Unterschicht angeht, die einst der SPÖ ihre Stimme gaben, so ist deren Wahlverhalten nicht in Stein gemeißelt, sondern kann grundsätzlich nach rechts, aber auch links ausschlagen. Die Kommunalwahlen in Salzburg wie auch in Graz haben gezeigt, dass es hier der KPÖ gelungen ist, auf Kosten der FPÖ Stimmen zu sammeln. Die Frage ist, ob sich das bei der Nationalratswahl im Herbst wiederholen lässt. Für Barth ist das eher unwahrscheinlich: Auf Bundesebene sieht er die Kickl-FPÖ bis dato immer noch mit dem besseren, weil für die Zielgruppe glaubwürdigeren politischen Angebot.

Alle streben nach links, dabei tummeln sich rechts mehr Wähler

Mit seinem Dilemma ist Babler nicht allein. Die Bierpartei muss auch den Grünen und Werner Kogler Kopfzerbrechen bereiten. Die Ökopartei konkurriert mit KPÖ, Wlazny und SPÖ um die veränderungswilligen und realistischen Progressiven sowie die globalisierungskritischen Postmaterialisten.

Vielleicht den größten Spagat müssen die Neos mit Beate Meinl-Reisinger schaffen – und das mit derzeit nur acht Prozent. Die Bierpartei schickt sich dabei an, den Neos ihren Anteil an den kosmopolitischen Lifestyle-Individualisten abzujagen, und die KPÖ – kein Spaß! – einige der progressiven Veränderungsbereiten. Und dann ist da ja noch eine waidwunde ÖVP, wenn es um die gehobenen Konservativen geht. Das ist ziemlich viel Konkurrenz für eine ziemlich kleine Partei.

Machtpolitisch ist der linke Wettlauf eher kontraproduktiv, zumal sich laut Marktforscher Barth auf der Rechten derzeit mehr Wählerinnen und Wähler befinden, um die noch dazu – jedenfalls derzeit – nur ÖVP und FPÖ werben. Aber wie gesagt: Nicht einmal das ist in Stein gemeißelt. Und entscheidend für politische Mehrheiten ist das Wahlverhalten der pragmatischen Mitte, die von den Parteien liegen gelassen wird, egal ob links oder rechts.