Angesichts der zahlreichen Konflikte mit der Türkei hat Deutschlands Außenminister Sigmar Gabriel eine "Neuausrichtung" der Politik der deutschen Regierung gegenüber Ankara angekündigt. Dies sei mit der deutschen Kanzlerin Angela Merkel abgesprochen, sagte Gabriel am Donnerstag in Berlin.
Zu den Maßnahmen gehört nach seinen Angaben unter anderem eine Verschärfung der Reisehinweise für die Türkei. Jedermann könne wie der verhaftete Menschenrechtler Peter Steudtner unter den Verdacht der Unterstützung von Terrororganisationen geraten, so Gabriel. "Völlig unbescholtene deutsche Staatsbürger können davon erfasst werden." Deswegen seien die Reisehinweise für die Türkei von einzelnen Personengruppen auf alle Deutschen ausgeweitet worden. Türkeireisenden werde zudem empfohlen, sich bei der Botschaft oder Konsulaten registrieren zu lassen. "Wir können gar nicht anders", sagte der deutsche Außenminister mit Verweis auf die Festnahme Deutscher in der Türkei.
Zudem müssten Investitionskredite und Wirtschaftshilfen wie sogenannte Hermes-Bürgschaften ebenso überdacht werden wie Vorbereitungshilfen der EU für einen Beitritt. Man könne nicht so weitermachen wie bisher. Hermes-Bürgschaften sind Exportkreditversicherungen der deutschen Regierung.
Krise verschärft sich
Deniz Yücel und Peter Steudtner – zwei Namen, die als Sinnbild für die Eiszeit zwischen der Türkei und Deutschland stehen und doch nur die Spitze des Eisbergs sind. Denn so konfliktgeladen wie in diesen Tagen war das Verhältnis der beiden Staaten seit Jahrzehnten nicht.
Der Fall Yücel sorgt seit Monaten für Schlagzeilen und einen schwelenden Konflikt. Der "Welt N24"-Journalist wurde im Februar 2014 in Haft genommen, nachdem er über die Ermittlungen gegen das linksgerichtete türkische Hacker-Kollektiv "Red Hack" berichtet hatte. Dieses wird in der Türkei als Terrororganisation eingestuft, dem Autor wurden ob seiner Arbeit die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung, Datenmissbrauch und Terrorpropaganda vorgeworfen.
Von einem rechtsstaatlichen Verfahren nimmt man seither nichts wahr. Stattdessen gibt es beiderseits immer neue Drohungen. So stellte Deutschlands Finanzminister Wolfgang Schäuble Finanzhilfen für die Türkei ob des Falls Yücel infrage. Umgekehrt klagte der türkische Staatschef Recep Tayyip Erdoğan, dass Deutschland seinerseits die Auslieferung türkischer Staatsbürger verweigere – und man daher auch Yücel nicht überstellen werde. Dass es sich dabei um Generäle handelt, die nach dem gescheiterten Putsch im Juli 2016 geflohen sind und denen in der Türkei die Todesstrafe droht, erwähnte er freilich nicht.
In dieser Woche wurde der juristische Streit um Yücels Haft nun auf die nächste Ebene gehoben. Er legte Beschwerde gegen die Haft beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte ein, die deutsche Bundesregierung sicherte Unterstützung bei der Klage zu. Ein Akt von enormer politischer Dimension.
Menschenrechtler in Haft
Auch der Fall des deutschen Menschenrechtlers Peter Steudtner und seiner Kollegen sorgt für Aufregung. Sie waren am 5. Juli bei einem Workshop in Istanbul festgenommen worden. Das Vorgehen der Türkei sorgte international für Empörung. Erdoğan hatte die Aktivisten in die Nähe von Putschisten gerückt.
Als erste Reaktion hat Deutschland den türkischen Botschafter ins Auswärtige Amt zitiert. In dem gut einstündigen Gespräch sei deutlich gemacht worden, dass die deutsche Bundesregierung die unverzügliche Freilassung von Steudtner fordere. Die Vorwürfe über Verbindungen zu terroristischen Organisationen seien offensichtlich "an den Haaren herbeigezogen", erklärte hinterher ein Außenamtssprecher. Auch Angela Merkel hatte die Inhaftierung Steudtners zuvor als "ungerechtfertigt" verurteilt. "Wir erklären uns mit ihm und den anderen Verhafteten solidarisch, und wir werden seitens der Bundesregierung auf allen Ebenen alles tun, um seine Freilassung zu erwirken."
Verschärfung der Reisehinweise
Der deutsche Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) will am Donnerstag auf die Verhaftung der Menschenrechtler eine deutliche Antwort geben. Wegen "der dramatischen Verschärfung des türkischen Vorgehens" hat er eigens seinen Urlaub abgebrochen. Im Auswärtigen Amt stehen am Vormittag Beratungen an. Welche Maßnahmen der Außenminister ergreifen will, ist noch unklar. Nach Angaben von SPD-Chef Martin Schulz erwägt Gabriel eine Verschärfung der Reisehinweise zum Schutz deutscher Staatsbürger in der Türkei – das wäre ein erheblicher Einschnitt in die Beziehungen.
"Geisel der Politik Erdoğans"
Dass die deutsch-türkischen Beziehungen nun auch zum Wahlkampf werden, war absehbar. SPD-Kanzlerkandidat Schulz warnte davor, dass „deutsche Staatsbürger in der Türkei Gefahr laufen, zu Geiseln der Politik von Präsident Erdoğan zu werden“. Ähnlich markig Grünen-Chef Cem Özdemir: „Die Bundesregierung darf sich nicht am Nasenring durch die Manege ziehen lassen. Es ist an der Zeit, dass man der Türkei wirtschaftspolitische Daumenschrauben anlegt.“ Umgekehrt macht man aber auch in der Türkei Druck auf Deutschland. So hat die türkische Regierung den deutschen Behörden eine weitere Liste mit angeblichen Terrorunterstützern übergeben, auf der sich erstmals auch deutsche Firmen befinden würden. 68 Unternehmen, darunter Daimler und BASF, aber auch ein Döner-Geschäft in Nordrhein-Westfalen. Ihnen allen werden Verbindungen zur Bewegung des Predigers Fethullah Gülen nachgesagt.