Sie rocken seit Jahrzehnten als Zeitzeugin mit antifaschistischen Liedern die Bühne. Was hat sich verändert?
ESTHER BEJARANO: Damals gab es Nazis und heute gibt es noch mehr Nazis. Es gibt einen Rechtsruck, nicht nur in Deutschland sondern überall, bei Euch ja auch, in Frankreich und in den USA mit Donald Trump. Ich halte das für gefährlich.
Ist es das, dass es damals „nur“ einzelne Nazis waren , und jetzt eine breite rechte Bewegung?
BEJARANO: Nehmen Sie die AfD. Es ist ganz gefährlich, dass sich die alten und inzwischen auch die neuen Nazis trauen, so in die Öffentlichkeit treten. Das sind Leute, die früher in keine Partei wie die NPD reingegangen wären, sich jetzt aber der AfD anschließen. Da sehe ich wirklich eine Parallele zur damaligen Zeit.
Inwiefern?
BEJARANO: Es gibt verschiedene Sachen, die mir aufgefallen sind. Zum Beispiel in Frankreich diese Karikaturen, die sich gegen die Moslems richten. Damals war das der Stürmer, der den Antisemitismus noch weiter geschürt hat. Oder die vielen rechtslastigen Gruppen, die es damals auch gab. Später haben sie sich vereint mit der NSDAP und wurden ganz, ganz stark. Damals wie heute gab es viele Arbeitslose, und das ist immer der Nährboden für die Rechte. Die ist aber gegen die Demokratie, da müssen sich alle Antifaschisten parteiübergreifend zusammentun dagegen.
Könnte denn aus AfD, Pegida & Co. eine Art NSDAP werden?
BEJARANO: Die Regierung müsste insbesondere auch die NPD längst verbieten, sagen, dass wir so etwas nicht billigen in unserem Land! Die haben Wohnungen abgefackelt, wo Flüchtlinge untergebracht waren, da sind Menschen zu Tode gekommen, das ist eine Katastrophe!
Was den Zulauf zu den Rechten eint ist die Sorge, dass zu viele kommen.
Was ist Ihre Antwort?
BEJARANO: Deutschland ist groß und hält das aus. Aber der Kapitalismus erzieht die Menschen zum Egoismus. Man will immer mehr Geld. Und die Diskrepanz zwischen Arm und Reich wird immer größer.
Haben Sie Angela Merkel geliebt für ihr „wir schaffen das“?
BEJARANO: Ich habe sie nicht geliebt, aber ich habe gesagt, das ist das einzig Gute, was sie bis jetzt gemacht hat. Auch im Nazideutschland haben sich alle verschlossen gegen die Flüchtlinge aus Deutschland. Meine Eltern hatten meinen Bruder nach Amerika, meine Schwester nach Palästina geschickt. Beide haben sie versucht, uns nach zu holen, wir waren noch vier Geschwister. Als wir drangekommen wären, hat Amerika die Summe, die man hinterlegen musste, verdoppelt. Das konnten meine Verwandten in Amerika nicht mehr leisten. Viele wissen gar nicht mehr, was das für eine schreckliche Zeit war.
Juden in Deutschland und Österreich sehen Antisemitismus unter Muslimen als immer größeres Problem. Sie sorgen sich laut ganz aktuellem Antisemitismus-Bericht um ihre Sicherheit. Können Sie das nachempfinden?
BEJARANO: Den Antisemitismus, der hier überall herrscht, den gab es schon immer und den wird es immer geben. Die Flüchtlinge haben damit gar nichts zu tun. Ich glaube nicht, dass alle Juden so denken. Es gibt sicher viele Vernünftige. Ich bin übrigens nicht sehr gerne gesehen in den jüdischen Kreisen, auch, weil ich die Politik von Israel kritisiere.
Inwiefern?
BEJARANO: Ich sage, das ist eine unmenschliche Politik, die die dort machen, diese Diskriminierung der Palästinenser, das geht mir so auf den Geist. Wir sind ja auch deshalb dort weggegangen. Ich habe 15 Jahre dort gelebt. Mein Mann hat sich geweigert, in den Krieg zu ziehen, weil er wusste, das sind Angriffskriege gegen die Palästinenser, und das wollte er nicht. Kriegsdienstverweigerung gibt es nicht in Israel. Wenn du nicht in den Krieg ziehst, dann gehst du in den Knast. Das wollten wir nicht, daher sind wir weg. Für mich war das schlimm, als ich nach Deutschland ging, ich habe gezittert, als ich die ersten Uniformen wieder sah, da habe ich sofort an die Gestapo gedacht. Das war 1960, ich kam zum ersten Mal wieder in Deutschland.
Fühlen Sie sich heute dort zu Hause?
BEJARANO: Ja, seit 1960 lebe ich in Hamburg. Das ist eine wunderschöne Stadt, ich habe ganz viele Freundinnen und Freunde dort, die auch im deutschen Widerstand waren, wie ich im KZ gesessen haben, oder im Gefängnis, oder in Frankreich gegangen sind und in der Resistance gekämpft haben. Nur deshalb kann ich in Deutschland leben. In diese Menschen kann man Vertrauen haben.
An die Opfer der Nazis wird mit dem Projekt der Stolpersteine gedacht, in vielen Orten Deutschlands und jetzt auch in Österreich.
BEJARANO: Ja, und die Nazis machen alles wieder kaputt. Das ist eine Schande! Diese menschenverachtenden Ansichten brauchen wir nicht, die muss man bekämpfen. Alle Antifaschisten müssen sich zusammentun. Bei den Linken gibt es viele, die sind sektiererisch, die denken, nur sie müssen dagegen kämpfen. Das stimmt aber nicht. Ich bin bereit, mit jedem zu kämpfen, auch wenn er in der CDU oder sogar in der CSU ist. Es ist mir völlig egal, welche Couleur die Antifaschisten haben, wenn sie nur Antifaschisten sind!
Ist es nicht so, dass der Rechtsruck auch den Antifaschismus geradezu wieder aus dem sektiererischen Eck herausgeholt hat, in dem er zwischendurch gelandet war?
BEJARANO: Ja. Man muss unbedingt mit allen zusammenarbeiten. Ich habe aber das Gefühl, dass das hilft, was ich mache. Und ich bekomme viel Unterstützung auch aus den anderen Parteien.
Sie sind 92. Ich habe gelesen, Sie kandidieren bei der Bundestagswahl im Herbst für die kommunistische Partei?
In die KP bin ich nur so reingerutscht, weil mein Mann ein Kommunist war. Der wollte unbedingt in die deutsche KP, weil die so klein war und Unterstützung brauchte! Jetzt habe ich mich aber gerade wahnsinnig geärgert über die DKP. Die haben mich, ohne mich zu fragen, aufgestellt für die Bundestagswahl! Da habe ich gesagt, das kommt überhaupt nicht in Frage. Die hätten mit mir vorher reden müssen. Bisher haben sie ihre Stimmen immer den Linken gegeben, nicht selbst kandidiert, was ich auch für vernünftig hielt. Jetzt muss man so und so viele Stimmen haben, um überhaupt zugelassen zu werden für die Wahl. Da habe ich natürlich unterschrieben. Und was haben die daraus gemacht: Dass ich kandidiere!
Tun Sie also nicht?
BEJARANO: Nein. Das war einfach ein Missverständnis. Die wollten mit meinem Namen werben. Haben auch gesagt: Esther, du brauchst ja gar nichts machen. Da habe ich gesagt. Wenn ich meinen Namen hergebe, dann will ich auch etwas dafür tun. Aber das kann ich nicht, dafür bin ich zu viel unterwegs. Die DKP ist manchmal auch sektiererisch, und das kann man sich in der heutigen Zeit nicht mehr leisten.