Mit diesem Ergebnis bleibt offen, wann das letzte Schweizer AKW vom Netz geht. Insgesamt lehnten rund 1.301.500 Personen die Initiative ab, 1.098.500 Personen stimmten mit Ja.
Die Stimmbeteiligung lag am Sonntag mit rund 45 Prozent im Durchschnitt, doch die Vorlage spaltete die Schweiz teilweise entlang der Sprachgrenze: Vier französischsprachige Westschweizer Kantone stimmten mit Ja, am deutlichsten der Kanton Genf mit 59 Prozent, gefolgt von den Kantonen Jura und Neuenburg mit rund 57 Prozent und Waadt mit 55 Prozent. Die Kantone Freiburg und Wallis lehnten die Initiative ab, aber relativ knapp.
Warnung vor hohen Kosten
In den meisten Deutschschweizer Kantonen war die Initiative dagegen chancenlos. Nur die Kantone Basel-Stadt und Basel-Landschaft sagten Ja, Basel-Stadt deutlich mit 60,5 Prozent, Basel-Landschaft knapp mit 50,4 Prozent. Am deutlichsten Nein sagte der Kanton Schwyz mit 68 Prozent, gefolgt von Appenzell Innerrhoden mit 66 Prozent und Nidwalden mit 65 Prozent.
In den Umfragen war das Volksbegehren, das die Grünen nach der Atomkatastrophe von Fukushima lanciert hatten, auf viel Sympathie gestoßen. Erwartet wurde daher ein knappes Resultat. Doch bereits um 12.30 Uhr stand das Nein fest.
Bei einem Ja hätten die AKW Beznau I und II sowie Mühleberg 2017 abgeschaltet werden müssen, Gösgen 2024 und Leibstadt 2029. Nun bleiben die Atomkraftwerke solange am Netz, wie die Aufsichtsbehörde sie als sicher einstuft - sofern die Betreiber sie nicht aus wirtschaftlichen Gründen abschalten. Durchgesetzt haben sich damit die bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbände, die vor Versorgungslücken, Dreckstromimporten und hohen Kosten warnten.
Mit Schadenersatzklagen gedroht
Vor allem die Diskussion über die Kosten dürfte den Ausgang der Abstimmung beeinflusst haben. Die AKW-Betreiber wollten Ansprüche geltend machen für nicht amortisierte Investitionen, die sie auf Basis des geltenden Rechts mit unbefristeter Betriebsbewilligung getätigt haben. Der Bundesrat rechnete mit Schadenersatzklagen in dreistelliger Millionenhöhe pro AKW.
Die Betreiber drohten im Abstimmungskampf jedoch mit höheren Summen, Axpo etwa mit Forderungen von über vier Milliarden Franken (3,78 Milliarden Euro) für die AKW Beznau und Leibstadt. Die Initiatoren gaben vergeblich zu bedenken, dass die Produktion von Atomstrom ein Verlustgeschäft sei und die Betreiber damit nicht behaupten könnten, ihnen würden Gewinne entgehen.
Eine Rolle gespielt haben mag auch die Angst vor Strommangel und Blackouts. Zwar hätte der Atomstrom durch Importe ersetzt werden können. Laut den Gegnern hätte das aber zu Überlastung der Netzinfrastruktur führen können.
Ausstieg erst langfristig
Die Gegner - auch die Schweizer Energieministerin Doris Leuthard - warnten zudem vor Dreckstrom aus Atom- und Kohlekraftwerken, den die Schweiz bei einem Ja zur Initiative hätte importieren müssen. Die Initiatoren stellten das in Abrede. Aus ihrer Sicht hätte der Atomstrom mit einheimischem und importiertem grünem Strom ersetzt werden können.
Nach dem Nein zur Atomausstiegsinitiative steht nun die Energiestrategie 2050 im Fokus, zu der sich das Stimmvolk voraussichtlich auch noch äußern wird. Die SVP hat das Referendum gegen das erste Maßnahmenpaket ergriffen. Wie sich die Wirtschaftsverbände und die FDP positionieren werden, ist offen.
Das Paket beinhaltet den langfristigen Atomausstieg: Im Gesetz wird verankert, dass der Bau neuer Atomkraftwerke verboten ist. Eine Laufzeitbeschränkung hatte das Parlament abgelehnt. Auch wollte es auf Gesetzesebene keine speziellen Regeln für alte AKW erlassen. Solche sind allerdings auf Verordnungsebene geplant.
Im ersten Maßnahmenpaket zur Energiestrategie sind auch Ziele für die Stromproduktion aus neuen erneuerbaren Energien festgelegt. Diese soll von heute rund drei Terawattstunden bis 2035 auf mindestens 11,4 Terawattstunden steigen. Das wäre etwa halb so viel, wie die Schweizer AKW heute produzieren.
Fokus auf Energieeffizienz
Für die Förderung der erneuerbaren Energien würde mehr Geld zur Verfügung stehen als heute. Der Netzzuschlag, den Stromkonsumenten berappen, soll auf 2,3 Rappen steigen. Eine vierköpfige Familie würde das rund 100 Franken (93 Euro) im Jahr kosten, 44 Franken (40,98 Euro) mehr als heute. 0,2 Rappen aus dem Netzzuschlag sind für Subventionen an bestehende Großwasserkraftwerke reserviert.
Daneben ist mehr Energieeffizienz angesagt: Der Energieverbrauch pro Person und Jahr soll - gemessen am Stand des Jahres 2000 - bis 2035 um 43 Prozent sinken, der Stromverbrauch um 13 Prozent. Zentrales Instrument bleibt das Gebäudeprogramm, für das mehr Geld eingesetzt werden soll. Die Abstimmung findet frühestens am 21. Mai 2017 statt.
Im Schweizer Parlament wiederum beginnen bald die Beratungen zur zweiten Etappe der Energiestrategie, dem Klima- und Energielenkungssystem (KELS). Der Bundesrat will die Fördermaßnahmen ab 2021 mit Lenkungsabgaben ersetzen. In der Begutachtung sind die Pläne auf heftige Kritik gestoßen. Sollten sie die parlamentarische Beratung überstehen, wird das Volk auch darüber befinden.