Das ungarische Referendum über die umstrittenen EU-Quoten für die Verteilung von Flüchtlingen ist ungültig. An der Abstimmung nahmen nur rund 45 Prozent statt der erforderlichen 50 Prozent der Wahlberechtigten teil, gab der Vize-Präsident der Regierungspartei Fidesz, Gergely Gulyas, am Sonntag bekannt.
Auch die ungarische Wahlbehörde stellt die Gültigkeit des angestrengten Referendums infrage. Die Teilnahme würde voraussichtlich unter 50 Prozent liegen, hieß es Sonntagabend.
Ein erstes inoffizielles Ergebnis über die Verteilung der Nein- und Ja-Stimmen wird gegen 22 Uhr erwartet.
Rücken stärken
Mit der Abstimmung will sich die nationalkonservative Regierung von Premier Viktor Orban im Streit mit anderen EU-Staaten über den Umgang mit den Flüchtlingen den Rücken stärken.
Auf dem Stimmzettel stand die folgende Frage: "Wollen Sie, dass die Europäische Union auch ohne Zustimmung des Parlaments die verpflichtende Ansiedlung von nicht ungarischen Staatsbürgern in Ungarn vorschreiben kann?" Orbans Regierung rief im Vorfeld zu einem Nein auf und warnt unter anderem davor, dass mit Flüchtlingen "Terroristen" ins Land kommen könnten. Menschenrechtsorganisationen werfen der Regierung vor, mit ihrer Kampagne gezielt Ängste in der Bevölkerung zu schüren.
Orban sieht sich als Sieger
Ungarns starker Mann fordert die EU-Spitzen heraus. Seiner Anti-Flüchtlings-Abstimmung war aber kein wirklicher Erfolg beschieden. Viktor Orban wird das jedoch nicht davon abhalten, weiter gegen "Brüssel" zu wettern.
Bei der Stimmabgabe demonstrierte Ungarns Ministerpräsident Viktor Orban am Sonntag Gelassenheit. Egal, ob die Abstimmung gültig ist oder nicht, ließ er die vor seinem Wahllokal im Budapester Grünviertel Zugliget wartenden Reporter wissen, seine rechts-konservative Regierung werde handeln: "Wir haben immer gesagt: nur das ungarische Parlament kann entscheiden, mit wem die Ungarn zusammenleben wollen. Und das werden wir gesetzlich festschreiben."
Orban war von vornherein klar, dass das vorgeschriebene 50-Prozent-Quorum nicht leicht zu erfüllen war. Der Regierungschef und sein Stab ordneten deshalb eine Art totale Mobilisierung an. Die öffentlich-rechtlichen Medien, regierungsnahe Internet-Portale, Gemeindebedienstete und Ministerialbeamte wurden in die beispiellose Propagandaschlacht eingespannt. Da wurde die Angst vor muslimischen Einwanderern geschürt. "Horden von Invasoren" wurden heraufbeschworen, geschickt von einer "Hintergrundmacht", die wiederum durch den US-Milliardär und Philanthropen George Soros personifiziert werde. Die Völker Europas sollten so ihres "christlichen und nationalen Charakters" beraubt werden.
Das Referendum sollte Orban Munition für seine Ambitionen auf der EU-Bühne liefern. In den letzten Monaten hatte er sich als lautstarker Gegner der Asylpolitik der EU-Kommission und der deutschen Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) in Stellung gebracht. Er schmiedete Allianzen mit Merkels koalitionsinternem Gegenspieler Horst Seehofer (CSU) und mit den anderen Ländern der Visegrad-Gruppe (Ungarn, Polen, Tschechien, Slowakei), die sich gegen die EU-Quoten für die Verteilung von Asylsuchenden zur Wehr setzen.
Die Vertreter der EU-Spitzengremien kanzelte Orban als "Eliten" ab, die sich den Wählern in den europäischen Ländern "entfremdet" hätten. EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker und EU-Parlamentspräsident Martin Schulz beschimpfte er als "Nihilisten".
Gemessen an der Intensität der Hetzkampagne fiel aber das Ergebnis am Sonntag eher mager aus. Ist nun Orbans Schwert, mit dem er die "Nihilisten" in Brüssel bekämpft, stumpf oder scharf? Für Orban bestehen da wohl keine Zweifel. Da in absoluten Zahlen mehr als drei Millionen Ungarn gegen die EU-Quoten gestimmt haben dürften, wird der Populist aus Budapest sein Schwert als geschliffener denn je empfinden.
Kritik an Referendum
Kritik am ungarischen Referendum hat EU-Parlamentspräsident Martin Schulz geübt. Ministerpräsident Viktor Orban missachte die Grundprinzipien der Union, sagte der Sozialdemokrat. Rückendeckung bekam der nationalkonservative Regierungschef indes von Außenminister Sebastian Kurz. Mitteleuropäische Staaten hätten in der Flüchtlingsfrage den Fehler gemacht, ihre Linie den anderen Staaten in der EU aufzwingen zu wollen, meinte der ÖVP-Politiker gegenüber der "Welt am Sonntag".
"Wäre unser oberstes Ziel von Anfang an nicht die Verteilung von Flüchtlingen, sondern der Schutz der Außengrenzen gewesen, dann hätte es dieses Referendum in Ungarn vermutlich niemals gegeben." Staaten wie Ungarn, Polen und die Slowakei hätten die "Einladungspolitik von Beginn an nie unterstützt", so der 30-Jährige.
50 Prozent müssen teilnehmen
Damit das Referendum gültig ist, sind zwei Voraussetzungen zu erfüllen: Mindestens die Hälfte der Stimmberechtigten muss am Urnengang teilnehmen, und die Nein-Stimmen müssen zumindest 25 Prozent der Stimmberechtigten repräsentieren. 2008 stimmten insgesamt 50,5 Prozent der Wahlbürger gegen Gebührenerhöhungen durch die damalige sozialliberale Regierung von Premier Ferenc Gyurcsany.