Wie heillos Ankara in den syrischen Bürgerkrieg verstrickt ist, zeigte sich am vergangenem Samstag: In der südostanatolischen Stadt Gaziantep starben 54 Menschen, die an einer Hochzeit teilnahmen. Die türkische Regierung mutmaßt, dass der "Islamische Staat" (IS) hinter dem Anschlag steckt, der sich damit für den Sieg kurdischer Milizen in der syrischen Stadt Manbij habe rächen wollen.

Nur wenige Stunden zuvor hatte Ministerpräsident Binali Yildirim angekündigt, sein Land werde sich in den kommenden Monaten aktiver in Syrien einmischen. Ankara würde eine Rolle für den syrischen Präsidenten Bashar al-Assad in einer Übergangsphase des Landes akzeptieren. In der Zukunft Syriens sei dann aber kein Platz mehr für ihn, sagte Yildirim. Am Mittwoch nun startete Ankaras Militäroffensive in Syrien. Staatspräsident Recep Tayyip Erdogan sagte, die Offensive gegen den IS sei die Antwort auf den Anschlag in Gaziantep.

Zu lange zugeschaut

Auf den Beisetzungen der Opfer schimpften einige der Angehörigen Erdogan einen "Mörder". Denn für nicht wenige Türken ist der Präsident Schuld an dem jüngsten Massaker, weil dieser nach ihrer Meinung dem Erstarken des IS im Nachbarland zu lange tatenlos zugeschaut habe, in der Hoffnung, dass dieser seinen Feind, den syrischen Präsidenten Assad entmachte.

Nationale als auch internationale Experten kritisieren immer wieder, dass Erdogan, in der Hoffnung Assad zu stürzen, Jihadisten des IS direkt oder indirekt unterstützt. Ankara habe durch seine angeblich offenen Grenzen zum IS-Erstarken beigetragen, ausländische Kämpfer seien ungehindert über das Land nach Syrien gereist, zudem würden Islamisten in der Türkei Unterschlupf finden oder gar rekrutiert werden, heißt es immer wieder in kritischen Medienberichten. Deswegen, so hört man überall im ganzen Land, sei der Krieg über die Grenze in die Türkei gekommen. Ankara dementiert all diese Vorwürfe immer wieder.

Lange Eiszeit

Dabei war es Erdogan, der noch als Ministerpräsident nach einer langjährigen politischen Eiszeit wieder einen konstruktiven Kontakt zu seinem Nachbarn suchte. Denn für ihn bot sich die Chance, sein Einflussgebiet im Nahen Osten zu erweitern. So besuchte im Jänner 2004 mit Assad der erste syrische Präsident nach der Unabhängigkeit Syriens 1946 die Türkei. Auch der Syrer, noch relativ frisch im Amt, brauchte Freunde - denn schon zu diesem Zeitpunkt deutete sich an, dass er sich international vollkommen ins Abseits manövrieren könnte.

So stand Erdogan auch zu Assad, als dieser zwischen Herbst 2004 und Frühjahr 2005 massiv unter Druck geriet. Vor allem die USA wollen nicht länger zuschauen, wie Damaskus sich immer mehr zum Einfallstor für internationale Jihadisten in Richtung Irak etablierte. Als dann im Februar 2005 der libanesische Ex-Premier Rafik al-Hariri in Beirut einer Autobombe zum Opfer fiel, galt Assads Regime international schnell als verdächtig. Neben dem an seiner Seite stehenden Erdogan hielten nur Iran und die libanesische Schiitenmiliz Hisbollah weiterhin treu zu dem Syrer.

Gemeinsamer Urlaub

Die fast schon freundschaftliche Züge tragende Beziehung zwischen den beiden Politikern führte 2008 sogar dazu, dass sie gemeinsam in den Urlaub fuhren. Die veröffentlichten Bilder zeigen die Ehepaare Erdogan und Assad im türkischen Badeort Bodrum. Die Ehefrauen der beiden Männer schlenderten Arm in Arm durch die Stadt.

Doch die harmonische Beziehung endete abrupt. Als Anfang 2011 in Syrien immer mehr Menschen auf die Straße gingen, um gegen das Assad-Regime zu demonstrieren, beriet Erdogan Assad noch, und gab ihm den Rat, demokratische Reformen umzusetzen. Doch der setzte diese Ratschläge nicht um. Und Erdogans Kurs drehte sich um 180 Grad: Er kritisierte Assad nicht nur - er forderte sogar seinen Rücktritt, wann immer es ihm möglich war.

Im November 2011 wetterte der politisch Gekränkte vor dem Parlament in Ankara: "Bashar al-Assad sagt, er werde bis zum Tod kämpfen. Gegen das eigene Volk zu kämpfen ist nicht Heldentum, sondern Feigheit." Im Juni 2012 drohte er dem einstigen Duzfreund: "Die Freundschaft der Türkei ist wertvoll, aber jeder sollte wissen, dass der Zorn der Türkei gewaltig sein kann." Seit 2012 beherbergt Erdogan den "syrischen Nationalrat", der unterschiedliche oppositionelle Gruppen von Exilsyrern an einen Tisch bringt. Die Oppositionsgruppe hat ihren Sitz in Istanbul.