Nach der Ausrufung des Ausnahmezustands in der Türkei weitet die Regierung in Ankara die Befugnisse der Polizei weiter aus. Per Dekret dehnte die Regierung am Samstag die Dauer des zulässigen Polizeigewahrsams auf 30 Tage aus. Zudem ordnete sie die Schließung tausender Einrichtungen mit Verbindung zur Gülen-Bewegung an.

Angesichts der Kritik aus der EU warf Präsident Recep Tayyip Erdogan dieser Parteilichkeit vor.

Laut dem Dekret dürfen Verdächtige künftig ohne Anklage bis zu 30 Tage festgehalten werden statt wie bisher vier Tage. Seit dem gescheiterten Militärputsch vor einer Woche wurden laut Erdogan 11.000 Menschen in Gewahrsam genommen.

Vereine, Schulen, Gewerkschaften

Die Regierung ordnete die Auflösung von tausenden Institutionen an, die angeblich zur Hizmet-Bewegung des islamischen Predigers Fethullah Gülen gehören. Erdogan macht Gülen für den versuchten Umsturz verantwortlich, was dieser bestreitet. Laut dem Dekret werden 1043 Privatschulen, 1229 Vereine und Stiftungen, 19 Gewerkschaften und Verbände und 35 Gesundheitseinrichtungen geschlossen.

Des weiteren weist das Dekret die Entlassung sämtlicher Staatsbediensteter an, die zu "Terrororganisationen oder Organisationen, Strukturen oder Gruppen" gehören, welche "gegen die nationale Sicherheit handeln". Die Regierung betrachtet die Hizmet-Bewegung als Terrororganisation. Der am Mittwochabend ausgerufene dreimonatige Ausnahmezustand erlaubt der Regierung, per Dekret zu regieren.

Kritik an Festnahmewelle

Italiens Regierungschef Matteo Renzi kritisierte die Festnahmewelle seit dem Putschversuch. Die Ereignisse der vergangenen Woche "beunruhigen uns ebenso sehr wie die Panzer auf den Straßen Istanbuls", sagte Renzi am Samstag bei einem Treffen seiner Partei PD. Ein Land, das "seine eigenen Professoren und seinen eigenen Journalisten inhaftiert, sperrt seine Zukunft ins Gefängnis".

Die EU-Kommission hatte das massive Vorgehen gegen Staatsbedienstete am Freitag als "inakzeptabel" bezeichnet. Angesichts der Kritik aus der EU warf Erdogan dieser eine parteiische Haltung vor. "Sie machen Erklärungen, die widersprüchlich sind. Sie sind parteiisch, sie sind voreingenommen und werden sich weiter voreingenommen gegenüber der Türkei verhalten", sagte Erdogan dem Sender France 24.

Am Freitag wurden die Pässe von knapp 11.000 türkischen Beamten und anderen Bürgern für ungültig erklärt, um sie an der Ausreise zu hindern. Zuvor hatte die Regierung bereits ein allgemeines Verbot für Wissenschaftler erlassen, zu Dienstreisen ins Ausland zu reisen. Zudem wurden am Freitag 283 Mitglieder der Präsidentengarde und damit jeder zehnte Angehörige der Elitetruppe entlassen.

Kritik an der EU

Die EU hat gewarnt, dass es das Ende der EU-Beitrittsverhandlungen bedeuten würde, sollte die Türkei die Todesstrafe wieder einführen. "Wenn mein Volk, mein Land ständig die Todesstrafe fordert, wenn die Vertreter meines Volkes im Parlament ja sagen, tut mir leid, dann muss ich diese Forderung respektieren", sagte Erdogan nun. "In der Demokratie liegt die Souveränität beim Volk."

Der Präsident beklagte in dem Interview zudem, dass die EU die Türkei seit Jahrzehnten hinhalte. "Europa lässt uns seit 53 Jahren an der Tür warten", sagte Erdogan. "Kein anderes Land hat während der Beitrittsverhandlungen zur Europäischen Union so gelitten." In der Flüchtlingskrise habe die Türkei als "Schild für Europa" gedient, doch habe die EU ihre gemachten Versprechen nicht gehalten.

Am Samstag teilte Staatsanwalt Harun Kodalak mit, 1200 nach dem Putschversuch zunächst festgenommene einfache Soldaten seien wieder freigelassen worden. Die Behörden bemühten sich, rasch zu klären, wer auf Zivilisten gefeuert habe und wer nicht, sagte Kodalak. "Kein Unschuldiger soll bestraft werden. Und die Gerichte werden diese Entscheidung treffen." Bei einem Großteil der mehr als 7400 festgenommenen Soldaten handelte es sich möglicherweise um junge Wehrpflichtige, die an dem Putschversuch beteiligt waren ohne zu wissen, worum es ging.