Die Türkei ist eine stolze Nation. Das zeigt sich an vielen Orten in Ankara, egal ob am Flughafen, wo ein Bild des Präsidenten Recep Tayyip Erdogan mit Ray-Ban-Sonnenbrille ganz im Stil von Joe Biden einem stoisch und bestimmt entgegen blickt oder an den unzähligen Fahnenmasten, von denen die türkischen Flaggen in schwindelerregenden Höhen versuchen die Stadt zu überragen. Doch nichts von all dem hält mit dem Atatürk-Mausoleum, seinen starken Säulen und seiner hohen Militärpräsenz mit. Das Andenken an den säkularen Staatsgründer Kemal Atatürk ist auch 86 Jahre nach seinem Tod und einer kompletten Kurskorrektur von Erdoğan nicht erloschen. Die Zeiten, in denen man sich vor allem dem Westen annähern wollte, sind in der Türkei vorbei – nun will man als einflussreiche Regionalmacht im geopolitischen Konzert mitspielen.
Die Türkei tanzt auf vielen Hochzeiten
Dieser Stolz lässt sich auch durch reale Probleme nicht dämpfen. Eine horrende Inflation von knapp 70 Prozent, innenpolitische Spannungen, die sich in den jüngsten Kommunalwahlen offenbarten und ein stetig brodelnder Streit mit der EU machen dem Land zu schaffen. Während es innenpolitisch kracht, versucht man in der Außenpolitik Stärke zu zeigen. Die Kriege in der unmittelbaren Nachbarschaft sind dabei eine Chance: Im Ukraine-Konflikt versucht man den Vermittler zu geben, die Türkei ist das einzige Nato-Mitglied, das noch eine gute Gesprächsbasis mit dem Kreml hat, wobei man zugleich die Ukraine unterstützt. Im Gaza-Krieg wiederum positioniert sich die Türkei auf Seiten der Palästinenser als Sprachrohr der arabischen Welt und des globalen Südens.
„Die Türkei agiert mit allen Akteuren der Weltpolitik – egal ob mit Europa, den USA, Russland oder dem Iran – ohne sich einen Favoriten auszusuchen“, analysiert Soner Cagaptay, Direktor des türkischen Forschungsprogramms in Washington. Österreichs Außenminister Alexander Schallenberg sagte am Dienstag im Rahmen seines Arbeitsbesuches bei seinem türkischen Amtskollegen Hakan Fidan und Innenminister Ali Yerlikaya in Ankara: „Vor 20 Jahren haben wir gedacht, jeder will den Lebensstil des Westens annehmen, nun zeigt sich – das ist nicht so. Diesen Realitäten müssen wir pragmatisch begegnen. Wenn wir die mit dem moralischen Zeigefinger Politik machen, haben wir verloren“.
Das bedeutet auch offensichtlich Differenzen im Gaza-Krieg zuzulassen. Die Solidarität mit den Palästinensern ist in der Türkei über Parteigrenzen hinweg unumstritten. Ebenso die klare Kante gegen Israel. Das zeigt sich auch bei der Stadteinfahrt nach Ankara, wo auf einer Häuserwand ein großes Plakat prangt, das Israels Premier Benjamin Netanjahu als Schwein darstellt. Darüber steht „Babykiller Israel“, daneben ein Hakenkreuz.
Den Symbolen der Bevölkerung ließ die politische Führung in der Türkei auch Taten folgen. Der Handel zu Israel wurde vollständig gestoppt. Schallenbergs türkischer Amtskollege Hakan Fiden sieht die Hamas ohnehin als „Widerstandsgruppe gegen die israelische Expansion“.
Für den Westen ist das Liebäugeln des Nato-Partners mit der Terrororganisation zwar ein Problem, doch ist man bemüht, auch Vorteile zu sehen. „Die Türkei hat eine Gesprächsbasis zur Hamas und wir haben noch immer eine österreichische Geisel, die wir befreien wollen. Wir werden daher alle Kanäle nutzen“, sagt Schallenberg auf dem Besuch, bei dem neben der türkischen Vermittlerrolle in den Konflikten auch eine gemeinsame Sicherheitspolitik im Bereich der Terrorismus-Bekämpfung ein Thema war.