Das Hochwasser sinkt. Auch in der sibirischen Gebietshauptstadt Kurgan beginnen die Einwohner, den angeschwemmten Schmutz zu diskutieren. „Höchste Zeit, den Fluss zu säubern“, schreibt Nadeschda Igorjewna im Sozialnetz VK. „Aller möglicher Dreck ist direkt vor unseren Füßen gelandet.“

Das Jahrhunderthochwasser im Südural und Sibirien hat allein in der Region Orenburg 12.300 Wohnhäuser geflutet, auch ganze Viertel der Stadt Orsk, 17.800 Menschen mussten evakuiert werden. Im Gebiet Tjumen wurden über 3000, in der Nachbarregion Kurgan 15.000 Personen evakuiert. Die Schäden überschreiten allein im Orenburger Gebiet 400 Millionen Euro, laut dem Portal Waschnije Istorii kamen dort sieben Menschen ums Leben.

Bohrschächte aus den 1980er-Jahren

Nach Angaben des Exilportals Agenstwo kann der Dreck, den der Fluss Tobol in die Stadt Kurgan getragen hat, auch radioaktiv sein. Demnach wurde auch das Gelände der Uran-Abbaugrube Dobrowolnoje überschwemmt. Das belegen Satellitenaufnahmen des Journalisten Mark Krutow und des Kurganer Gebietsgouverneurs Wadim Schumkow, auf denen überschwemmte Bohrgründe zwischen dem Flussufer und der Autostraße von dem Dorf Trud i Snanije nach Swerinogolowskoje zu sehen ist. Überschwemmt wurde der Boden über altem, inzwischen geschlossenen Bohrschächten aus den 1980er-Jahren.

Darin haben sich große Mengen von mit Uranresten und Schwefelsäure versetzter Flüssigkeit gesammelt, wie Andrej Oscharowskij, Atommüllexperte der Russischen Sozialökologischen Union, sagt. Sie stünden unter unterirdischem Druck und drängen so an die Erdoberfläche. „Deshalb ist der Boden über den alten Bohrlöchern immer nass, ich habe dort selbst erhöhte Strahlenwerte gemessen“, so Oscharowskij. Und diese Erde sei nun in den Tobol geschwemmt worden. „Natürlich verringert sich die Konzentration im Fluss sehr schnell. Messbare Überschreitungen der Normen wird es nicht geben.“ Aber aus dem Tobol beziehe die 330.000 Einwohnerstadt Kurgan ihr Trinkwasser. „Und im Trinkwasser hat Uran nichts zu suchen.“ Verbrauchern drohe Krebs durch innere Verstrahlung.

Behörden dementieren

Alexei Schwarz, Kurganer Ökologe und früherer Nawalny-Aktivist befürchtet, dass auch aktive Bohrschächte überschwemmt und Uran-Säure-Lösung tonnenweise in den Tobol gespült worden sind. Der nach Deutschland emigrierte Schwarz wird deshalb vom nationalistischen Portal Zargrad als Relokant und Panikmacher verhöhnt. Dinis Jeschurow, Generaldirektor der Firma Dalur, die das Uran in Dobrowolnoje abbaut, erklärte der Staatsagentur RIA Nowosti, das Vorkommen liege so hoch, dass das Hochwasser es nicht erreicht habe. Und auf dem Portal des Staatskonzerns Rosatom, zu dem Dalur gehört, heißt es, alle Uranadern befänden sich in einem „Sarkophag“ mit Fundament und Wänden aus „Kristallfelsen“ und seien durch eine meterdicke, ebenfalls wasserdichte Lehmschicht „versiegelt“.

Aber auch die regionale Umweltstiftung „Kurgan Ökologie Uran Prawo“ bestätigt auf ihrer VK-Seite, bei der Überschwemmung seien uranhaltige Stoffe in den Tobol geraten. Doch sie warnt vor allem vor einem flüssigen Gemisch aus 2000 Tonnen Rest-Uran und einer Million Tonnen Schwefelsäure, die zur Auslaugung des radioaktiven Metallas in die Bohrlöcher gepumpt worden seien. Dieses Gemisch befinde sich in 400 Meter Tiefe unter Druck, es sei früher oder später zu befürchten, dass es in andere Wasseradern gerate … Die Stiftung, deren Aktivisten zum Großteil wackere Kommunisten sind, rufen den Präsidialbevollmächtigten im Ural auf, sich einzumischen.

Europa und USA kaufen russisches Uran

Fraglich, wie der Kremlvertreter reagieren wird. Die industrielle Ural-Förderung in Dobrowolnoje wurde erst im Dezember 2022 aufgenommen. Danach feierte das Wissenschaftsportal Sfera die Region Kurgan schon als „Uran-Herz Russlands“. Der Rohstoff für Atombrennstäbe und Kernwaffen gilt in Russland weiter als unverzichtbar. Und als Exportschlager, die Staatsagentur RIA Nowosti jubelt, die feindseligen USA hätten im Kriegsjahr 2023 für 1,2 Milliarden Dollar russisches Uran gekauft. „Dabei bedeutet, Uran bei Rosatom zu kaufen, die Umwelt mit Füßen zu treten und den Krieg in der Ukraine zu unterstützen“, kommentiert der Ökologe Wladimir Sliwjak. Auch Westeuropa versorge sich bei Rosatom, sagt Oscharowskij. „Und das Uran, das am Tobol gefördert wird, ist zum Großteil für den Export gedacht.“