Am 7. September 2002 war er stellvertretender Landesparteiobmann der FPÖ in Wien. Heinz-Christian Strache ritt vor genau zehn Jahren als Mitläufer in Knittelfeld ein. Als einer von denen, die sich von Kärntens Jörg Haider dazu hatten hinreißen lassen, den Regierungskurs der eigenen Partei zu kritisieren, der ungeliebten Parteichefin Susanne Riess-Passer den Marsch zu blasen, sich endlich wieder als die Partei des "kleinen Mannes" zu inszenieren. Er richtete es sich eilfertig im Windschatten der Sturmtruppe ein.
Vor Facebook und Twitter
Es war noch in den Zeiten vor Facebook und Twitter. Die Türen schlossen sich hinter den Delegierten. Draußen hob das Rätselraten der Journalisten an. Im beschaulichen Knittelfeld sollte Geschichte geschrieben werden, doch das wussten die Medien zu diesem Zeitpunkt noch nicht.
Haider hatte die Revolution ausgerufen, Haider schickte sich zunächst an, diese wieder zu ersticken. "Königskobra" Susanne Riess-Passer hatte mit dem Rücktritt als Vizekanzlerin gedroht, sollte die Basis auf der Forderung nach einem Sonderparteitag bestehen. Sendboten hatten ein Kompromisspapier überbracht. Ein Papier, das Haider selbst mit ihr ausgearbeitet hatte.
Eine Kommission sollte Vorschläge zur Steuerreform erarbeiten (wegen der Kosten durch flächendeckendes Hochwasser wollte die Regierung diese verschieben, das war der Anlass für Knittelfeld). Haider sollte als "Aufpasser" in den Koalitionsausschuss entsandt werden.
Zunächst hieß es, die Revolte sei abgesagt, doch zum Erstaunen der Beobachter verließ der damalige Finanzminister Karl-Heinz Grasser wutschnaubend den Raum. Einem Journalisten, Helmut Schliesslberger von den "Salzburger Nachrichten", war es gelungen, sich als Delegierter in den Tagungsraum hineinzuschummeln. Er wusste zu berichten, was Riess-Passer später erfuhr: Haiders Gefolgsmann Kurt Scheuch, jener Scheuch, der es heute zum Parteiobmann der Nachfolgepartei FPK in Kärnten gebracht hat, durfte das Papier zum Gaudium der Delegierten auf offener Bühne zerreißen. Er ging als der "Reißwolf" in die Annalen ein, verhöhnte die abwesende Parteiobfrau als Schießbudenfigur. Strache war dabei, höhnte mit. Heute würdigt er "den von mir initiierten" Aufstand als "Selbstreinigungsprozess". Haider, der Riess-Passer bis zuletzt im Ungewissen gelassen hatte, brauchte nicht zu kämpfen an diesem Tag. Er ließ nur zu. Das genügte.
Genie und Wahnsinn
Haider, Genius und Wahnsinniger in einer Person, spielte sein eigenes Spiel. Er wusste längst, was andere bestenfalls ahnten: Dass seine Freiheitlichen als Steigbügelhalter einer von Wolfgang Schüssel geführten ÖVP-Regierung in eine Todesspirale geraten waren.
Dass dem Fuchs, dem es selbst verwehrt war, im Amt des Vizekanzlers zu glänzen, die Trauben sauer geworden waren, mag psychologisch mitgespielt haben.
Chaos-Tage folgten. Riess-Passer, Grasser und Klubobmann Peter Westenthaler nahmen den Hut. ÖVP-Kanzler Wolfgang Schüssel nutzte die Gunst der Stunde, warf die FPÖ aus der Regierung und setzte Neuwahlen an. Die FPÖ stürzte ab und konnte sich erst unter "HC" wieder erholen. Jörg Haider nahm einen Teil der Partei und ging. Er gründete das BZÖ, mit dem er nur in Kärnten wirklich Fuß fassen konnte, dort kurioserweise nicht als BZÖ, sondern als FPK.
Strache setzte sich 2004 an die Spitze der Wiener FPÖ. Er profilierte sich nach der Abspaltung des BZÖ als Antipode zu Jörg Haider. Heute ist er selbst Parteiobmann. Und er glaubt immer noch daran, dass es damals nur die falschen Leute waren, die in der Regierung ans Ruder kamen. Oder will daran glauben.
Denn heute ist er es, der an diesem Grundkonflikt würgt: an der Unmöglichkeit einer Protestpartei, längerfristig als Regierungspartei zu überleben.
Der Putsch hat bei den Blauen Tradition. Jörg Haider selbst hatte 1986 das Regierungsexperiment der FPÖ unter Norbert Steger mit der SPÖ beendet. Als Dr. Jekyll sagte er 14 Jahre später Ja zur Koalition. Als Mr. Hyde vermisste er lautstark "das Herz in der Politik" und propagierte ein Volksbegehren gegen den Ankauf von Abfangjägern, gegen die eigene (Regierungs-)Partei. Bis es Koalition und Partei zerriss.
Strache wird kein Doktor werden. Und doch wollen ihn auch seine Wähler in der Regierung sehen. Das strategische Problem, den Spagat zu schaffen zwischen fundamentalistischer Opposition und Regierungsfähigkeit, hat die FPÖ bis heute nicht gelöst. Sollte Strache der Versuchung einer Regierungsbeteiligung erliegen, erwartet ihn möglicherweise sein eigenes Knittelfeld.
CLAUDIA GIGLER