Armin THURNHER: Zum Zweck des Absenkens der Debattentemperatur, ehe unsere Debatte noch begonnen hat, darf ich vielleicht die Frage neu stellen: Soll die AfD mitregieren? Sie hat in Thüringen die verfassungsmäßige Sperrminorität, in Sachsen nicht, und gewann nicht die absolute, sondern die relative Mehrheit von etwa einem Drittel der abgegebenen Stimmen. Nein, sie soll nicht mitregieren. Sie ist eine Partei, die Demokratie und Verfassung feindlich gegenübersteht, das aber mehr oder weniger geschickt maskiert. Deswegen haben deutsche Parteien getan, was ich von den österreichischen Parteien seit längerer Zeit vergeblich fordere: Sie haben sich darauf festgelegt, mit der AfD keine Koalition zu bilden.

MICHAEL FLEISCHHACKER: Ich kann nicht sehen, warum die Feststellung des Offensichtlichen, nämlich dass die AfD weder in Thüringen noch in Sachsen die absolute Mehrheit der abgegebenen Stimmen bekommen hat, die Debattentemperatur beeinflussen sollte. Ich nehme aber an, es soll die der Scheinabkühlung folgende Offensichtlichkeit, nämlich dass Sie nicht wollen, dass jemand mitregiert, der den exzentrischen Anforderungen Ihrer politischen Ästhetik nicht entspricht, etwas heißer dastehen lassen. Ich für meinen Teil kann nur halbkühl sagen: Das sollen und werden die im Landtag zu Erfurt vertretenen Parteien entscheiden. Und wenn jemand mit der AfD regieren will: auch gut.

THURNHER: Es war etwas unterkomplexer gemeint. Regieren kann man nur mit absoluter Mehrheit. Der Rest ist Mitregieren, wie wir gerade wieder lernen, dann sind hinterher immer die anderen schuld gewesen. Demokratische Parteien sollten nicht schuld daran sein wollen, dass undemokratische Parteien mitregieren. Was das mit Ästhetik zu tun hat, weiß ich nicht. Björn Höcke ist anscheinend gebotoxt, habe ich gelesen, seine Anzüge genügen Studio-Anforderungen, er lässt sich in schweren BMW-Limousinen vorfahren, ästhetisch gibt’s also an dem nichts auszusetzen.

FLEISCHHACKER: Wir sollten hier, denke ich, nicht in den Wahlkampfmodus von Politikern verfallen, der darin besteht, das Nichtverstandene als verstanden und das Verstandene als nichtverstanden auszugeben. Sie wissen, was ich mit dem Begriff der politischen Ästhetik meine: Sie versuchen, das, was Ihnen nicht gefällt, für unzulässig zu erklären. Wie sieht das denn aus Ihrer Sicht beim Bündnis Sahra Wagenknecht aus?

THURNHER: Um Ihre etwas vom Terrain wegführende Frage zu beantworten: Das Bündnis Sahra Wagenknecht „gefällt mir nicht“ (was mir im Übrigen keine polit-ästhetische Kategorie zu sein scheint), aber ich halte es demokratiepolitisch nicht für unzumutbar. Sie haben aber vielleicht etwas missverstanden, lieber Fleischhacker. Ich halte die AfD nicht für unzulässig. Ich bin nur dafür, dass man sie nicht regieren lässt. Das könnte man bei unserer FPÖ genauso halten, statt um den Brei herumzuschwafeln wie die ÖVP. Ich sag’s noch einmal, ich halte die AfD für eine vielfältig undemokratische Partei. Vielfältig, weil es offenbar radikalere (Björn Höcke) und weniger radikale Varianten gibt. Offenbar, weil es zu ihrem Wesen gehört, über ihr Wesen abzuwiegeln, es zu verschleiern, im Notfall wegzulügen.

FLEISCHHACKER: Ich denke, wenn Sie das BSW für demokratiepolitisch unbedenklicher halten als die AfD, ist inhaltlich bereits alles gesagt. Der Rest ist politisches Taktieren mit moralischer Camouflage. Eine Partei nicht für unzulässig zu halten, aber dafür zu plädieren, dass alle anderen von vornherein ausschließen, dass sie mit ihr regieren, ist selbstverständlich auch zulässig, aber es ist eine Verhöhnung ihrer Wähler. Politik nach Gutsherrenart, kann man machen, wenn es einem nicht zu peinlich ist.

THURNHER: Ich erlaube mir, eine Partei für nicht regierungsfähig zu halten, deren Repräsentanten vom Verfassungsdienst als „gesichert rechtsextrem“, also demokratiegefährdend bezeichnet werden. Mir ist nicht bekannt, dass Frau Wagenknecht vom Verfassungsdienst als „gesichert linksextrem“ eingestuft und ihre Partei beobachtet würde. Ist es peinlich, zu verlangen, diesen Unterschied zu erkennen?

FLEISCHHACKER: Sie können ohnehin für regierungsfähig halten, wen Sie wollen, lieber Thurnher, dazu bräuchten Sie nicht einmal einen Verfassungsdienst, und schon gar nicht das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), auf das Sie sich offenbar beziehen. Dessen Präsident Haldenwang hat mit seiner Devise, man müsse sich auch noch stärker mit Gesinnungsabweichungen unterhalb der Strafbarkeitsgrenze befassen, den Weg gewiesen, auf dem der gelernte Ostdeutsche hinter jeder Ecke mit der Stasi rechnet. Was „gesichert rechtsextrem“ heißen soll, konnten die Schlapphüte noch nicht schlüssig darlegen. Aber immerhin reicht es Ihnen auf der anderen Seite für einen Wagenknecht-Persilschein.

THURNHER: Mit „Persilschein“ hauen Sie fett daneben. Wo Sie recht haben, haben Sie aber recht. Schutz, nicht Dienst! Mit Ihrer verächtlichen Herabstufung des Verfassungsschutzes zu „Schlapphüten“ liegen Sie wieder falsch. Denn wer sich – wie die meisten rechtsextremen Demagogen – verstellt, um dann an der Macht sein wahres Gesicht zu zeigen und die pluralistische zur illiberalen Demokratie umzugestalten, sie also abzuschaffen, der hat nichts anderes verdient, als dass man seine Umtriebe, Motive und Ziele aufdeckt. Das hat nichts mit Gesinnungsschnüffelei zu tun, sondern mit dem Enttarnen von politischen Gesichtsmasken.

FLEISCHHACKER: Ich möchte Ihre Angstlust nicht dämpfen, lieber Thurnher, aber ich glaube, wenn Sie die Deutschen und die Österreicher für so daneben halten, dass sie sich von einer Partei, die ein Viertel der Wähler hinter sich hat und irgendwo – wie Sie richtig sagen – „mit“regiert, willenlos von der Demokratie in die Diktatur befördern lassen würden, sollten Sie Herrn Haldenwang bitten, gleich alle Deutschen überwachen zu lassen. Die Staatssicherheit der Deutschen Demokratischen Republik war im Übrigen über Jahrzehnte mit dem Enttarnen von politischen Gesichtsmasken beschäftigt, man sagt, sie war dabei nicht wenig erfolgreich.

THURNHER: Gut, lieber Fleischhacker, dass Sie die Angstlust auch noch unterbrachten, die hat mir schon gefehlt. Immerhin haben Sie nicht entdeckt, dass ich nur Männer mit fünf Buchstaben und einem „ck“ im Familiennamen nicht an die Fleischtöpfe der Macht lassen will. Im Ernst kann ich Ihnen nur antworten, ich habe naturgemäß niemanden als „daneben“ oder „nicht daneben“ qualifiziert. Meine Aufforderung lautet ganz unaufgeregt: „Ihr Wille geschehe nicht!“ Das wird man ja noch sagen dürfen.

FLEISCHHACKER: Unbedingt soll man das sagen dürfen, ich möchte ja nur auch sagen dürfen, dass ich das dauerhafte Fernhalten der stimmenstärksten Partei von der Regierung demokratiepolitisch bedenklich und pragmatisch selbstmörderisch finde. Ich halte es mit Roger Willemsen: Ich habe die Zukunft gesehen. Sie sieht nicht gut aus.