Bei einer Pressekonferenz hieß es am Dienstag in Wien: "Die Neurologie ist ein Wachstumsfach. In der EU leiden heute schon sehr viele Menschen an neurologischen Erkrankungen. Jeder dritte Europäer muss einmal im Jahr zum Neurologen gehen. 2035 werden in Österreich mehr als drei Millionen Menschen über 60 Jahre alt sein. Wir brauchen ein dichtes Versorgungsnetz", sagte Elisabeth Fertl, Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Neurologie, bei der Pressekonferenz aus Anlass des "Welttages des Gehirns" am kommenden Freitag (22. Juli).
Im Prinzip stünde Österreich auf diesem Gebiet "relativ gut" da. Mit drei Dutzend "Stroke Units" ist in spezialisierten Neurologie-Abteilungen eine flächendeckende Schlaganfallversorgung auf konventionellem Weg inklusive Thrombolyse gegeben. In der jüngsten Zeit wurden an elf dieser Abteilungen auch Einrichtungen zur interventionellen Schlaganfalltherapie (Entfernen des Blutgerinnsels per Katheter) geschaffen. Elisabeth Fertl: "Wir wissen seit etwas mehr als einem Jahr, dass diese 'endovaskuläre Schlaganfallversorgung' bei großen Schlaganfällen wirksam und sicher ist."
Kurzes Zeitfenster
Diese Therapie, für die nur ein kurzes Zeitfenster nach dem Auftreten von Symptomen zur Verfügung steht, käme im Durchschnitt für jeden 15. Patienten mit einem ischämischen Schlaganfall infrage. Weniger die Einrichtung dafür geeigneter Zentren als der 24-Stunden-Betrieb an sieben Tagen der Woche sind der Knackpunkt. "Das bedeutet Ressourcen, Personal und Einrichtungen", sagte die Expertin. In Österreich käme es nun darauf an, den Betrieb aller elf derartiger Einrichtungen rund um die Uhr zu garantieren.
In Österreich gibt es 970 Fachärzte für Neurologie. 441 davon sind (auch) im niedergelassenen Bereich tätig. Davon haben aber nur 144 Neurologen (teilweise noch Neurologien mit Psychiatrie als Fach) einen Kassenvertrag. Je nach Bundesland liegt der Anteil der Kassen-Neurologen (zum Teil haben sie keine Gebietskrankenkassenverträge) an der Gesamtzahl der niedergelassenen Ärzte dieses Fachgebiets bei um die 50 Prozent oder auch nur bei rund einem Drittel.
Dabei dürfte die Zahl der Patienten mit neurologischen Erkrankungen in Zukunft deutlich zunehmen. Sowohl Akuterkrankungen wie Schlaganfälle als auch kognitive Störungen und Leiden (Demenz unterschiedlichster Ursachen) nehmen mit dem Alter drastisch zu. Dabei muss beispielsweise eine Demenz längst nicht alle Menschen symptomatisch treffen, die entsprechende Veränderungen im Gehirn aufweisen. Reinhold Schmidt, Neurogeriater von der Universitätsklinik Graz, sagte: "Eine Alzheimer-Pathologie ist in bestimmten Bereichen des alternden Gehirns sehr häufig. Rund 50 Prozent der 50-Jährigen haben eine (symptomlose; Anm.) Alzheimer-Pathologie, aber auch 30 Prozent der 30-Jährigen." Bildung, Lebensstil und möglichst vielfältige Aktivitäten inklusive Sport etc. würden die Fähigkeiten zur Kompensation altersbedingter Veränderungen im Gehirn steigern.
Auch die weltweiten Statistiken weisen auf einen zunehmenden Bedarf an Neurologen hin. Der Wiener Neurologe Wolfgang Grisold, Generalsekretär der Weltföderation für Neurologie, sagte: "Es gibt bereits mehr als 800 Millionen Menschen im Alter über 60 Jahre. Bis 2050 wird ihre Zahl auf rund zwei Milliarden Menschen steigen. 2025 werden 80 Prozent davon auf die entwickelten Länder entfallen."