Sie heißen Nerjiss, Liemar, Egemen, Enes, Melisa, Furkan, Dani, Eda, Beid, Arian, Elif, Rebeca, Ibrahim, Alper, Davut, Manessa, Mohammed, Selen, Selin, Teodora, Hafsa, Natalia, Danilo, David, Amina, Valentin und Fatima: Sie gehen gemeinsam in eine Klasse in einer der größten Volksschulen in Favoriten, im zehnten Hieb, wie der zehnte Wiener Gemeindebezirk gern genannt wird. Diese 25 Kinder sind ein Mikrokosmos aus verschiedenen Herkunftsländern, Religionen und Weltanschauungen. Was sie eint: Niemand von ihnen hat Deutsch als Erstsprache. Deutsch-Schularbeiten indes schon.

Die Dokumentaristin Ruth Beckermann begleitete die Schülerinnen und Schüler vom Beginn der zweiten Klasse bis zum Ende der vierten Klasse. Ihre einfühlsame Langzeitbeobachtung im Klassenzimmer und Besuchen einer Moschee und dem Stephansdom zoomt auf die Chancen und Mängel unseres Bildungssystems hin. Auf schulische Fortschritte, erste Erfolge und Rückschläge, tägliche Abenteuer, auf Konflikte, kindliche Interessen und das, was sie alle von zu Hause aus mitbringen – und auch, was nicht. Auf Augenhöhe (Kamera: Johannes Hammel) und mit einer angenehmen Zurückhaltung porträtiert die Filmemacherin nicht nur eine Schulklasse, sondern gleich die gesamte Gesellschaft mit.

Alles andere als pädagogisch, moralinsauer oder mahnend gelingt „Favoriten“, Wirklichkeit abzubilden. Und zwar erstaunlich leichtfüßig und auch augenzwinkernd, wenn die Klasse auf Ansage der wundervollen Lehrerin zu Lieblingsmusik tanzt. Notwendig ernst, wenn der Direktor zu Schulbeginn vor dem Lehrpersonal erklärt, dass man vorerst auf Schulpsychologinnen und -sozialarbeiter verzichten müsse und umwerfend direkt, wenn die Frau Lehrerin den Unterricht stoppt, um Konflikte zu schlichten und zu klären, warum Mädchen auch Bikinis tragen dürfen, man Streit lösen kann, in dem man miteinander redet und sich dabei in die Augen schaut.

Wie schon in „Mutzenbacher“ erweist sich die Wiener Regisseurin als aufmerksame Zuhörerin und schlagfertige Fragenstellerin. Was die Kinder vor der Kamera zu Protokoll geben, ist durchaus unterhaltenswert. Auch in jenen Szenen, in denen sie sich via Handykamera selbst filmen. Ihre Antworten zeugen von Bildung als Chance, zeigen aber auch, woran es in puncto Integration und Personalaufstellung fehlt.

„Favoriten“ ist eine herzenswarme Ode ans Kindsein, ans Lernen, an die Bildung und vor allem an das Miteinander. In der Praxis; im Hier und Jetzt. „Eindrücklich zeigt Beckermann, dass Bildungsarbeit Friedensarbeit ist“, begründete die Jury ihre Wahl für den Friedensfilmpreis, den „Favoriten“ heuer bei der Berlinale erhielt. Prognose: Es wird nicht die einzige Auszeichnung für diesen Dokumentarfilm bleiben.
Kinostart: Herbst 2024.