Es ist die mittlerweile allseits bekannte und doch schier unglaubliche Geschichte vom Griechen Teodor Currentzis, der auszog, die Klassikwelt als manischer Erneuerer zu erobern - und sich dafür mit seinem Orchester die russische Provinz als Einsiedelei aussuchte. Und der heute 45-jährige hat seinen Siegeszug geschafft - von Perm am Ural-Gebirge aus, 1.100 Kilometer östlich von Moskau.

Seit 2011 leitet er das dortige Musiktheater. Am Rande Europas hat er sein klosterähnliches Refugium errichtet, in das mittlerweile die Größen der Musikwelt pilgern. Für seine Referenzeinspielungen der Mozart'schen Da-Ponte-Opern kommen Stars wie Simone Kermes in die Einöde. Und dennoch überstrahlt der charismatische Dandy Currentzis alle. Mal tritt er mit Puschelschuhen vors Orchester, mal mit goldbehangener Weste. Ausrasierter Sidecut, Rockerattitüde, gelegentliche Arbeit als Schauspieler. Und dann auf dem Pult tanzend, ohne Dirigentenstab, dafür mit vollem Körpereinsatz. Auch seine ihm treu ergebenen Musiker, seine Bruderschaft, stehen meist und stampfen den Takt.

Es ist diese Mischung aus Exotik und detailversessenem Arbeiten, manischer Konzentration auf die Musik und bohemienhaftem Gestus, die Currentzis und seine Deutungen so besonders macht. Und dieser Lebensweg war wahrlich nicht vorauszusehen, wurde Currentzis doch am 24. Februar 1972 fernab von Russland oder gar Sibirien, nämlich in Athen geboren. Seine Mutter war Pianistin, der Vater Polizist. Ab 1994 studierte Currentzis in St. Petersburg bei Ilja Musin, dem Mentor vieler später bedeutender Dirigenten.

Und er blieb in Russland, dessen Kultur er ungebrochen verehrt. Mittlerweile hat der Grieche auch die russische Staatsbürgerschaft. Seine erste berufliche Station war ab 2004 das Opernhaus im sibirischen Nowosibirsk. Dort gründete er als Chefdirigent den Chor New Siberian Singers und die MusicAeterna, sein eigenes Ensemble als musikalisches Labor.

Beide nahm Currentzis 2011 mit nach Perm, einem liberalen Zufluchtspunkt im zunehmend konservativ und autoritärer regierten Russland. Die von den großen Kulturmetropolen abgeschiedene Lage ist essenziell für Currentzis' Arbeitsweise, können sich die Künstler doch Tag und Nacht auf die Deutung der Musik konzentrieren. Er kenne nach vier Jahren in Perm immer noch nicht die Straßen der Stadt, bekennt der Konzertmeister Afanasy Chupin in der TV-Dokumentation "Currentzis: Der Klassikrebell". Man gehe jeden Morgen in die Oper und bleibe dort bis in die Nacht.

Durch diese zurückgezogene Konzentration gelingen Currentzis und seinen Mitverschwörern die energiegeladenen, zugespitzten und stets völlig unerhörten Interpretationen von Werken zwischen Barock und dem 20. Jahrhundert. Diese führen das Ensemble mittlerweile aus dem freiwilligen Exil in die großen Konzerthäuser der Welt - von Moskau über Berlin bis Wien. "Konzerthäuser sind keine Museen", verkündete Currentzis in Wien. Die Basis für dieses Klassikwunder bleibt aber die Einschicht - schließlich hat Currentzis im Vorjahr in Perm für weitere fünf Jahre verlängert, wird aber mit der Saison 2018/19 auch Chefdirigent des neuen SWR Symphonieorchesters.

Schließlich ist der Dirigent zunehmend gefragt für Einsätze außerhalb der selbst gewählten Bubble. Im Wiener Konzerthaus war der 45-Jährige als Artist in Residence engagiert, und bei den heurigen Salzburger Festspielen darf er bei seinem Debüt gleich in die Vollen greifen. Nicht nur steht er mit seiner MusicaAeterna bei der "Clemenza di Tito" im Graben, sondern gibt auch zwei Konzerte und ein Kammerkonzert.

www.teodor-currentzis.com