Herr Schmalz, die Neuversion des „Jedermann“ ist ein Auftragswerk des Burgtheaters. Gab es nach der Anfrage eine längere Schrecksekunde, ein Zögern, oder sind sie sofort an- und aufgesprungen? Die Herausforderung ist ja nicht gering.
FERDINAND SCHMALZ: Zuerst einmal habe ich schon geschluckt. Das Original ist ja nicht nur ein Riesenbrocken, es ist auch so eine Art „Goldenes Kalb“ der österreichischen Dramatik. Wichtig war es mir, zuerst einmal zu schauen, wo da überall tatsächlich noch Gold darunter steckt oder vielleicht auch ein wenig Holz dabei ist.
Die Idee entstand ja schon vor einiger Zeit?
SCHMALZ: Die ersten Gespräche gab es vor zwei Jahren mit der Burg-Chefin Karin Bergmann. Den wirklichen Anstoß gab das Donau-inselfest, das damals stattfand.
Von der Insel zum „Jedermann“ ist es schon ein weiter Weg.
SCHMALZ: Jein. Dort sind ungefähr drei Millionen Leute beschallt und bespaßt worden, bei einem Riesen-Gratisfest, während die ersten Flüchtlinge über die Balkanroute gekommen sind. Das waren damals noch marginale Zahlen, 300 Leute ungefähr, die unter freiem Himmel schlafen mussten. Offiziell hieß es, es bestünden keine Möglichkeiten, diese Menschen unter einem Dach unterzubringen. Da zeigte sich ein enormer Zwiespalt. Einerseits eine Millionen-Party, andererseits die moralische Verpflichtung zur Hilfe, der niemand nachkommen wollte.
Da hat Sie das Thema gepackt, sicherlich auch wegen der Spaßgesellschaft?
SCHMALZ: Klar. Ich habe versucht, mir vorzustellen, ab wann so ein Fest kippen soll oder muss. Und die Frage, ab wann der Wein nicht mehr schmeckt, sollte sich eigentlich jeder stellen.
Ein wichtiger Satz von Ihnen zum Stück lautet: „Wir haben vergessen zu sterben“. Das ist ein zentrales Thema Ihres Werk – die Verdrängung des Todes.
SCHMALZ: Ich habe das Gefühl, dass wir den richtigen Umgang mit dem Tod verlernt haben. Er ist aus unserem Leben verdrängt worden. Das war vor hundert Jahren noch ganz anders, ritualreich. Heute sterben viele Menschen in sterilen Räumen, umgeben von Maschinen.
Sie haben das Werk ziemlich entschlackt. Sie wollten auch weg von der Allegorie, hin zu einem zeitgemäßen Drama mit einem völlig skrupellosen Geschäftemacher namens Jedermann. Kann das bei dieser fast liturgischen Vorlage überhaupt funktionieren?
SCHMALZ: Es gab einige Sachen, die ich einfach entstauben musste. Vor allem bei den Frauenrollen.
Das gilt eindeutig auch für die „Buhlschaft“.
SCHMALZ: Das war mir ganz wichtig. Es ist skurril, dass schon Monate vor der Premiere soviel über eine Darstellerin berichtet wird, die ja eine fast kümmerliche Rolle hat. Dass sie eigentlich eine wilde Ehe mit dem Jedermann führt, lockt in Wahrheit auch niemanden mehr hinter dem Ofen hervor. Aber es gibt bei Hugo von Hofmannsthal sehr wichtige, erhabene Passagen.
Womit wir wieder beim Umgang mit dem Tod, dem Sterben sind?
SCHMALZ: Die Frage, die den Hofmannsthal schon auch sehr herumtrieb, lautet ja, ob der letzte Moment, also der Todesmoment, auch ein Erkenntnismoment sein kann, ob wir in anderer Weise auf unser Leben zurückblicken können? Ob wir uns entschuldigen und die Lebensschuld abstottern können? Das sind Fragen, die man sich auch ohne all den Weihrauch drumherum stellen sollte.
Die Wahrheit werden wir leider nie erfahren?
SCHMALZ: Kaum. Aber ich habe mich sehr intensiv mit dem Thema Tod beschäftigt. Der Tod ist irgendwie eine große Leerstelle, ein Riesengeheimnis, das am Ende unseres Lebens steht.
Bei Ihnen hat die Buhlschaft eine Doppelrolle, am Ende ist sie eine verführerische Todesfigur.
SCHMALZ: Da habe ich auch auf das Umfeld reagieren wollen, also auf Wien, das ein spezielles Verhältnis zum Tod hat. Wien wird oft als eine der lebenswertesten Städte bejubelt, aber sie ist ja auch eine der sterbenswertesten Metropolen. Eine große Nekropole. Irgendwann hat’s Klick gemacht bei mir, vor allem, weil ich die Rolle der Buhlschaft ausbauen wollte. Daher habe ich sie auch als Tod, als Verführerin, auf die Bühne gestellt.
Hinzugefügt haben Sie auch die „(teuflisch) gute Gesellschaft“. Was motivierte Sie dazu?
SCHMALZ: Ich hab das Gefühl, dass das eine Krankheit unserer Zeit ist, mit all den Tycoons, die – von riesigen Beraterstäben umgeben – zur Unmoral geradezu motivieren, auch zu diabolischen Entscheidungen . Das ist wie ein Chor, der im Stück immer teuflischer wird.
Ehe es allzu morbid wird: Wo bleibt das Positive?
SCHMALZ: Das Stück ist auch ein Versuch, den Tod umzudeuten. Die Buhlschaft sagt ja auch, dass unser Leben ohne Tod nach nichts schmecken würde. Wenn wir den Tod als natürlichen Bestandteil des Lebens sehen, wird es dadurch auch reicher.
Sie sind ein bekennender Vielschreiber. Welche weiteren Projekte haben Sie derzeit noch? Vor allem rund um den preisgekrönten Bachmann-Preis-Text?
SCHMALZ: Der Bachmannpreis-Text wächst immer weiter an zu einem Roman, reich an weiteren schrägen Figuren. Das Buch wird aber erst nächstes Jahr erscheinen. Außerdem bereite ich zwei Theaterstücke vor, eines für das Deutsche Theater Berlin; „Der Tempelherr“ heißt es, uraufgeführt wird es Ende dieses Jahres. Und auch für die Nibelungenfestspiele in Worms schreibe ich ein Stück, das ist aber erst für 2020 geplant.
Das wird aber garantiert kein Jedermann in Rüstung?
SCHMALZ: Nein, nein. Ich möchte mich mit den Frauenfiguren in der Nibelungensaga befassen. Eine sehr spannende Sache. Mit den Jedermännern habe ich vorerst abgeschlossen.
"jedermann (stirbt)". Von Ferdinand Schmalz. Uraufführung am
23. 2. am Wiener Burgtheater
Von Werner Krause