In "Meine wundervolle Buchhandlung" hat die Wiener Buchhändlerin Petra Hartlieb eingehend beschrieben, wie schön und anstrengend es ist, eine Buchhandlung zu führen. In ihrem neuen Buch begegnet man erneut ihrem in der Währinger Straße gelegenen Geschäft. "Ein Winter in Wien" dreht die Uhr allerdings über 100 Jahre zurück. Die Protagonistin ist Kindermädchen in einem prominenten Dichterhaushalt.

Der nur mehr als Schriftsteller tätige Arzt Arthur Schnitzler tritt dem Leser dieser längeren Erzählung in etwa so entgegen, wie man ihn auf dem berühmten Familienfoto aus dem Atelier von Madame d'Ora kennt: als saturierter, stattlicher Herr, Gatte einer um 20 Jahre jüngeren Frau (Olga Schnitzler) und Vater zweier Kinder, Heinrich (1902-1982) und Lili (1909-1928). Wir schreiben das Jahr 1911, die Kinder sind neun und zwei Jahre alt und werden von Marie Haidinger gehütet, einer schüchternen Bauerntochter, die von ihrer meist missgelaunten Dienstherrin schon mal "Landpomeranze" genannt wird.

Armutsexistenz

Das Leben Maries, wie es Hartlieb schildert, ist über weite Strecken ein typisches Frauenschicksal jener Zeit: Vor einem bitteren Los als ökonomisch und sexuell ausgebeutete Magd in die Stadt geflohen, fristet sie in der kaiserlichen Residenzstadt eine Armutsexistenz. Doch sie hat Glück und kommt schließlich bei Schnitzlers in einem noblen Haus im Cottageviertel nahe des Türkenschanzparks unter, wo sie schon bald die ihr anvertrauten Kinder lieb gewinnt und sich fast wie im Schloss fühlt.

Petra Hartlieb: Ein Winter in Wien. Kinderl, 176 Seiten, 17.40 Euro
Petra Hartlieb: Ein Winter in Wien. Kinderl, 176 Seiten, 17.40 Euro © KK

Hartlieb verzichtet auf das Naheliegende, dass nämlich der Hausherr, als Liebhaber "süßer Mädln" nicht nur literaturnotorisch, ein Auge auf das junge, hübsche Kindermädchen wirft. Stattdessen lässt sie eine zartes Liebespflänzchen zwischen Marie und dem in der Buchhandlung Friedrich Stock (einem der Vorgänger von Hartlieb) arbeitenden jungen Buchhändler Oskar gedeihen.

Romanze

Zwischen dem großbürgerlichen Dichter-Haushalt, dem kleinen Angestellten-Leben und dem von ständiger Existenzangst geprägten Kindermädchen-Dasein entwickelt Petra Hartlieb ihre Romanze, garniert mit ein wenig Schmalz, etwas Sozialkritik und ganz viel Schnee, der sich wie Puderzucker über das vorweihnachtliche Wien legt.

Den verliebten Oskar lässt sie gehörig unter dem Weihnachtsstress stöhnen. Die Weihnachtszeit ist für den Buchhandel die mit Abstand umsatzträchtigste Zeit des Jahres. Hartlieb hat dies in "Meine wundervolle Buchhandlung" eindrucksvoll geschildert. Nun hat sie selbst ein ideal als Geschenk geeignetes Weihnachtsmärchen vorgelegt. Man mag das allzu wohlkalkuliert nennen. Doch "Ein Winter in Wien" ist ganz und gar harmlos und wird niemandem wehtun - außer dem Rücken der Autorin selbst, wenn sie wieder einen neuen Stapel ihrer Bücher auf ihren Ladentisch wuchten muss. Sie wird es wohl gerne verschmerzen.