Morgen hat Ferdinand Schmalz’ Stück „der thermale widerstand“ im Haus 2 Premiere, ab Samstag gibt’s auf der Hauptbühne Nestroys „Der Talisman“, für das der steirische Dramatiker neue Couplettexte geschrieben hat. Das Grazer Schauspielhaus wird zum „Schmalzspielhaus“: So nennt es „Talisman“-Regisseur Dominique Schnizer, der mit dem Autor zum gemeinsamen Interview erscheint.


In „der thermale widerstand“ verteidigt ein Einzelner ein altes Kurbad vor dem Umbau zum Wellnesstempel. Wieso?
FERDINAND SCHMALZ: Ich sehe das Kurbad vor allem als alte Kulturstätte. Da ging es nicht um optimierte, gut gebräunte, stählerne Körper, sondern darum, dem Müßiggang zu frönen. Solche Orte sind heute bedroht. Alles wird zum Eventtempel in umgebaut. Dabei sagen Experten für das Kurwesen, dass die schnellen Wochenenderholungstrips für ausgebrannte Angestellte überhaupt nichts bringen. Aber Erholung ist ein Statussymbol geworden. Man lebt in einem Imperativ des Genießens, das über soziale Plattformen dann auch noch ausgestellt und für andere konsumierbar werden muss.


Der widerständige Außenseiter ist eine typische Schmalz-Figur?
Schmalz: Mir ist aufgefallen, dass sich mein Freundeskreis in zwei Kategorien teilt: Die einen widmen ihr Leben der Suche nach dem perfekten Veilchenspritzer, die anderen verrennen sich in Verschwörungstheorien und sehen jeden Tag die Apokalypse bevorstehen. Und dazwischen gibt es kaum Strategien für den Umgang mit der aktuellen politischen Situation.


Gelten Ihre Sympathien in „der thermale widerstand“ dem Apokalyptiker?
Schmalz: Der fühlt den richtigen Impuls, aber greift zu den falschen Mitteln. Das Bad abzuriegeln und die Kurgäste als Geiseln zu nehmen, ist ja eine relativ überzogene Handlung. Aber die Ansicht, dass es rettenswert ist, finde ich nicht uninteressant.

Szenenbild aus Ferdinand Schmalz "der thermale widerstand"
Szenenbild aus Ferdinand Schmalz "der thermale widerstand" © Lupi Spuma


Herr Schnizer, als Experte fürs Zeitgenössische: Hätten Sie lieber „der thermale widerstand“ inszeniert als den „Talisman“?
DOMINIQUE SCHNIZER: Eine gemeine Frage. Ferdinand hat für den „Talisman“ ja eh die Couplets geschrieben. Und Nestroy ist ein Kindheitstraum von mir. Das erste Stück, das ich gesehen habe, war ein Nestroy in Graz: „Einen Jux will er sich machen“. Inszenierung Fritz Zecha, 1989. Ich kann Ihnen heute noch die Besetzung runterrasseln.


Bitte gern.
Schnizer: Helfried Edlinger, Weinberl. Georg Staudacher, Christopherl. Franz Friedrich, Melchior ...


Danke, genügt. Ihren wievielten Nestroy inszenieren Sie mit dem „Talisman“?
Schnizer: Meinen ersten.


Ihr Wunschstück?
Schnizer: Das wurde mir vorgeschlagen, und für mich ist es mit Themen wie der Ausgrenzung des Fremden, Anderen der Nestroy der Stunde.


Nestroy, heißt es, sei immer zeitgemäß. Eventuell auch ohne aktuelle Bezüge?
Schnizer: Der Zuschauer kriegt ja mit, dass der ausgegrenzte Rothaarige auch für Anderes stehen kann. Bei Nestroy sind die Menschen, die Konstellationen modern. Man muss nur genau an den Figuren, Verhältnissen, Veränderungen arbeiten, um das herauszuschälen.
Schmalz: Viele unterliegen dem Fehlglauben, Nestroy habe sich vor der Zensur in diese gewisse Künstlichkeit retten müssen. Ich glaube, dass diese Überführung in den Kunstrahmen nicht nur aus Zensurgründen erfolgt ist, sondern dass sich Nestroy der Kraft dieser Künstlichkeit bewusst war.


Motto: Kunst braucht Umwege, sonst wäre sie bloßes Pamphlet?
Schnizer: Nestroy ist nicht brechtisch, er klagt nicht die Verhältnisse an, er macht sich über die Falschheit, Verbohrtheit, Engstirnigkeit der Menschen lustig. Und es gibt keine Katharsis. Keiner geht geläutert aus den Ereignissen hervor.


Ist die „Talisman“-Hauptfigur Titus Feuerfuchs, die zwecks sozialer Akzeptanz ihr rotes Haar verbirgt, ein Verzweifelter oder ein Manipulationskünstler?
Schnizer: Das ist nicht eindeutig. Er wird ausgegrenzt, aber er kann die Leute lesen, selbst in seinen Komplimenten liegt ein Spott. Auch die vermeintlichen Helden haben bei Nestroy ja immer eine Bösartigkeit.


Gefällt Ihnen das?
Schnizer: Ja, sehr.
In die Couplets werden traditionell gern tagesaktuelle politische Bezüge eingebaut. Auch in der Schmalz-Version?
Schmalz: Natürlich gibt es das. Aber wenn man nur politisch austeilen will, wird es rasch kabarettistisch. Und Nestroy hat in seinen Couplets ja auch sehr feine gesellschaftspolitische Standpunkte verankert. Da werden sogar Themen wie Optimierungs- oder Schönheitswahn unter die Lupe genommen.


Schnizer: Weil sich aber gesellschaftlich einiges weiterentwickelt hat, brauchten wir schon die schmalzsche Tinte.


Ist Couplets schreiben schwer?
Schmalz: Es war das erste Mal, dass ich in so strenger Form gereimt und rhythmisch geschrieben habe. Das ist Arbeit, damit es locker-flockig klingt. Aber es hat Spaß gemacht. Und das Tolle war, dass ich hier in Graz mit dem Musiker Bernhard Neumaier zusammenarbeiten konnte. Auf dem Papier ist das ja erst einmal sehr trocken. Aber mit der Musik verändert sich alles.