Sie machten es schon im holländischen Terschelling. Im tschechischen Košice. Und im französischen Marseille. Fünf weitere Etappen folgen noch, aber nun wollen Edith Draxl und ihr fünfköpfiges „Kunstlabor Graz“ in ihrer Heimatstadt „Hello and Goodbye“ sagen.


Dieses uniT-Projekt dokumentiert persönliche Geschichten vom Weggehen und Ankommen, also Beweggründe im doppelten Sinn. „Und unsere Erkenntnisse über jedwede Art von Emigration spiegeln wir in Form von Ausstellungen, Begegnungen, Walks oder Performances in die Öffentlichkeit zurück“, sagt Draxl, die mit den Ihren seit Oktober den Bezirk Liebenau erkundet, wo der Zuwandereranteil hoch ist.


Vom 1. bis 8. August werden die Ergebnisse im Rahmen des Festivals „La Strada“ präsentiert. Gern hätte man dazu ein „kleines temporäres Museum“ gehabt, die aufgelassene Schlecker-Filiale in der Fiziastraße schien ideal. Vom Wohnungsamt kam jedoch eine Absage: Die Stadt Graz könne für das schon lang leer stehende Gebäude weder Kosten noch Haftung übernehmen, zudem gebe es schon einen Abbruchbescheid.

Da nutzte es auch nichts, dass Draxl versicherte, Probleme mit Strom, Toiletten et cetera selbstverantwortlich zu lösen. Zur zuständigen Stadträtin Elke Kahr (KPÖ) konnte man trotz mehrerer Anfragen und trotz Mithilfe von Kulturstadträtin Lisa Rücker (Grüne) nie vordringen. „So eine Zwischennutzung hätte die Stadt gar nichts gekostet außer ein Ja“, ärgert sich Draxl und resümiert: „Die Kultur der Verhinderung ist schrecklich in Graz.“


Was der Künstlerin aber fast noch mehr aufstößt: Das ehemalige Schlecker-Areal liegt ja auf dem Gelände des berüchtigten „Lagers V“, in dem Kriegsgefangene und Zwangsarbeiter starben und zuletzt 60 jener ungarischen Juden, die knapp vor Kriegende im April 1945 von SS und Volkssturm auf Todesmärschen quer durch die Steiermark Richtung KZ Mauthausen getrieben wurden. „Das ist kein Baugrund wie jeder andere“, wundert sich Draxl darüber, dass man mit der avisierten Errichtung von Gemeindebauten „respektlos über einen Ort tragischer Geschichte hinweggeht und es bis heute keine Gedenkstätte für jene gibt, die dort unter der Erde liegen“.

Lage des Lagers V in Liebenau
Lage des Lagers V in Liebenau © KK


Um eine solche Gedenkstätte bemühen sich schon längere Zeit der Künstler E. D. Gfrerer und der Fotograf und Mediziner Rainer Possert – im Mai 2013 erreichten sie, dass die Stadt nach einer Schrecksekunde von 68 Jahren das erste Mal offiziell der jüdischen Opfer gedachte. Historikerin Barbara Stelzl-Marx beleuchtet in ihrem Band „Das Lager Graz-Liebenau in der NS-Zeit“ einen fast vergessenen Ort des Verbrechens. Und im April gab es in Graz eine Fachtagung zum „Lager V“, bei der Bürgermeister Siegfried Nagl sagte, er erwäge die Errichtung eines Mahnmals. Na, immerhin.

Das Literaturforschungsinstitut der Karl-Franzens-Universität nennt sich seit 1990 ungerührt nach Franz Nabl, dem Autor mit der braunen Tinte. Conrad von Hötzendorf, dem Kriegstreiber aus der k. u. k-Zeit, bleibt trotz Diskussionen vor zwei Jahren weiterhin eine zentrale Straße gewidmet. Die temporären Mahnmale des Gedenkprojekts „63 Jahre danach“ von Jochen Gerz mussten vor zehn Monaten trotz heftiger Proteste aus dem Stadtbild verschwinden . . . Es gibt leider (zu) viele Beispiele, dass es Graz beim Umgang mit den dunklen Kapiteln seiner Geschichte oft nicht nur an gesellschaftspolitischer Hygiene, sondern auch am politischen Willen fehlt.

MICHAEL TSCHIDA


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