Ihre neue CD heißt "Auf den zweiten Blick“. Sie haben darauf Lieder, die nicht so sehr im Rampenlicht stehen, neu aufgenommen. Wodurch genau unterscheidet sich der zweite vom ersten Blick?
RAINHARD FENDRICH: Der zweite Blick ist genauer. Meistens ist es auch ein erfahrener Blick. Denn zwischen erstem und zweitem Blick liegt im Idealfall ein gewisses Maß an Lebensweisheit.
Ist der zweite Blick auch nachdenklicher?
FENDRICH: Nachdenken sollte man eigentlich immer - vor allem, wenn man Lieder schreibt. Der Titel ist so entstanden: Zu runden Geburtstagen, in meinem Fall der 60., wird immer eine Hit-Sammlung erwartet. Das war bei meinem 40er so, das war bei meinem 50er so. Und diesmal habe ich mir gedacht: Jetzt mach ich etwas ganz anderes, nämlich genau das Gegenteil. Ich habe mir alle meine Alben angehört und alle Texte durchgelesen und dann bewusst Lieder ausgewählt, die eben nicht die großen Hits waren. Auf diese Weise habe ich eine Reise in die eigene Vergangenheit angetreten.
Wie war sie denn, diese Zeitreise?
FENDRICH: Faszinierend. Die Zeit ist wie ein Hologramm vor mir aufgetaucht. Lieder sind ja immer eine Reflexion auf die Umgebung, so arbeite ich jedenfalls. Ich gehe also sehr wach und neugierig durch das Leben. Bei vielen Liedern, die ich jetzt wieder aufgenommen habe, ist auch die damalige Zeit wieder auferstanden. Und während dieser Arbeit habe ich mich schon oft gewundert, welche Gedanken ich als junger Mensch hatte. Im Alter von 28 Jahren habe ich zum Beispiel ein Lied über ein Altersheim geschrieben. Diese Reise zurück in meine eigene Vergangenheit war fast wie ein Vater-Sohn-Dialog.
Der 60-jährige Fendrich hat mit dem 25-jährigen Fendrich kommuniziert?
FENDRICH: Genau so. Und es ist schon erstaunlich, welch ernste Gedanken dieser junge Fendrich gehabt hat. "Voller Mond" zum Beispiel ist ein Lied über das Altwerden. Textzeile: "Dem alten Pfau misslingen schon die Räder." Das habe ich im Alter von 33 Jahren geschrieben.
Ihre Erklärung dafür, warum dieser junge Fendrich so "alte Themen" behandelt hat?
FENDRICH: In Wahrheit hatte ich als junger Mensch massive Existenzängste. Vorher war ich ein armer Student, hab bei meiner Freundin gewohnt. Dann kam der große Erfolg und plötzlich konnte ich mir ein Auto leisten, ein Haus. Und da hatte ich halt die Panik, dass mir nichts mehr einfällt. Denn ich wusste ja, dass das Erreichte von meinen Ideen kommt und auch davon abhängt. Das hat zwar keine Lebenskrise, aber doch eine gewisse Melancholie verursacht.
Wohlstandsmelancholie?
FENDRICH: Ja, natürlich! Wohlstand ist ja etwas Schönes. Aber begleitet wurde er bei mir eben von der Angst, dass es eines Tages plötzlich vorbei ist.
Was war der Hauptgrund, vor allem diese ernsten Lieder auf die neue CD zu packen?
FENDRICH: Ich hab zwar meine Kalauer-Hits gehabt, die mir Glück und Erfolg gebracht haben. Aber der Großteil meines Liedguts ist eigentlich sehr ernst.
Was hat Ihre Plattenfirma dazu gesagt, dass Sie den eher unbekannten Fendrich aus der Lade holen?
FENDRICH: Juhu! Im Ernst: Schauen Sie, ich bin in einem Alter, in dem man sich fast alles erlauben kann. Es darf nur nicht schlecht sein. Das war einer der ersten Sätze, die ich in meiner Karriere gehört habe. Der Satz stammt übrigens von Hans Gratzer, damals Leiter des Schauspielhauses in Wien.
Kommen wir zu einem Lied, das manchmal als wahre österreichische Bundeshymne bezeichnet wird: "I Am from Austria". Wie geht es Ihnen mit dem langen Schatten, den dieser Song noch immer wirft?
FENDRICH: Am Anfang wurde das Lied ja als nationalistisch bezeichnet - Unsinn! Also, eine Hymne klingt anders: "I kenn die Leit, ich kenn die Rottn . . ." Es ist also kein Loblied. Entstanden ist der Song aus einem ehrlichen Gefühl des Heimwehs heraus. Ich bin ja im Ausland oft auf die Vergangenheit dieses Landes angesprochen wurden, auf Nazitum usw. Und da habe ich immer gesagt: Ja, stimmt alles, keine Frage. Aber trotzdem ist das meine Heimat, da fährt die Eisenbahn drüber! Und mit diesem Zugang konnten sich die Menschen offenbar identifizieren.
Als ich Sie unlängst wieder live gehört habe, dachte ich mir: Die Stimme vom Fendrich klingt anders. Aber wie anders, könnte ich nicht benennen.
FENDRICH: Ganz einfach, ich hab früher nicht richtig singen können! Als Junger war ich unerfahren und nach drei Konzerten heiser. Heute schau ich auf mich und meine Stimme. Ich fühle mich in meiner Stimme auch wesentlich wohler als früher.
Sie werden 60 Jahre alt. Wie geht es Ihnen damit?
FENDRICH: Das war das Spannende an dieser Zeitreise. Ich habe festgestellt, dass ich als jüngerer Mensch viel mehr Probleme mit dem Älterwerden hatte als jetzt. Früher war Zeit für mich kein Faktor, jetzt ist sie das schon. Worte wie "Zeitvertreib" gibt es für mich nicht mehr. Ich mache nur noch das, was mir Spaß macht; Interviews, wo mir ein echter Gesprächspartner gegenübersitzt. Alles andere interessiert mich nicht mehr. Die Leistungsfähigkeit lässt zwar nach, der Apparat kränkelt, wie bei einem älteren Auto. Aber wenn man weiß, wo die Abkürzungen sind, kommt man trotzdem noch dorthin, wo man möchte.
Der Society-Fendrich und all seine diversen "Skandale" sind aus den Seitenblicken verschwunden. Eine bewusste Entscheidung?
FENDRICH: Natürlich! Ich rede auch nicht mehr über mein Privatleben. Es ist ein Jugendirrsinn, zu glauben, dass man von allen geliebt wird, wenn man erfolgreich ist. Ich habe leider erst sehr spät einen Satz von Jerry Lewis beherzigt. Lewis hat gesagt: "Prominente werden oft zuerst in den Himmel, zu den Sternen gehoben und dann von dort runtergeschossen."